Donnerstag, Februar 12

Wellensittiche und Tauben

Heute bin ich nach ein paar Wochen Hostelleben in eine Wohnung gezogen. Sie gehört einer Opernsängerin, die für ein paar Wochen nach Los Angeles fliegt. Den seltsamen Stimmübungen zufolge, die aus der Nachbarwohnung trällern, ist sie aber nicht die einzige Sängerin im Haus. Die Wohnung ist, wie es sich für einen Opernsängerin gehört, mit altmodischen Stilmöbeln eingerichtet, und außerdem sehr hell. Ich fühle mich recht wohl hier. Teilen muss ich sie mir nur mit einem Wellensittichpärchen, das meistens frei in der Wohnung fliegen darf. Aber das stört mich als alten Papageienfreund gar nicht, ganz im Gegenteil. Besonders gerne baden sie in der Abwasch unter einem laufenden Wasserhahn. Gemüse und Obst essen sie nur in sehr bescheidenen Mengen. Sie bevorzugen das mit Vitaminen, Mineralstoffen und sonstigem Zeug versetzte Körnchenfastfood. Es sind eben doch amerikanische Wellensittiche.

Die Wohnung liegt im sechsten und obersten Stock eines typischen New Yorker Wohnhauses aus Backsteinen und mit eiserner Feuerstiege an der Außenwand. Draußen auf den Fensterbänken, ob Wohnung oder Stiegenhaus, sitzen den ganzen Tag gurrende und stinkende Flugratten herum, was insofern ein Problem ist, weil beim Lüften der Taubenkotgeruch ins Haus strömt. Dabei wäre es ein leichtes, z.B. Drähte so zu montieren, dass sie dort nicht landen können. In Sachen Installationen ist Amerika generell ein Entwicklungsland. Die Dusche baumelt an einer langen Stange von der Decke und man wundert sich, dass aus dieser Konstruktion überhaupt irgendetwas herauskommt. Was herauskommt, ist allerdings braunes Rost-Wasser. Nach ein bis zwei Minuten wird das Wasser dann klar und man kann sich duschen. Die Vermieterin hat mich aber eindringlich gewarnt, ich möge den Duschstrahl so richten, dass ich jederzeit sofort auf die Seite springen kann, falls der Nachbar einen seiner Wasserhähne aufdreht. Denn kommt statt einem angenehm warmer Wasserstrahl von 40 Grad plötzlich Wasser mit kochend heißen 70 Grad aus der Duschkonstruktion.

Das Haus ist in Morningside/West-Harlem, 140te Straße, nicht weit vom Meer entfernt. Hier ist die Durchmischung mit Menschen mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund stärker als in Central-Harlem, wo ich die ersten Wochen gelebt habe. In West-Harlem leben einige Hispanics. Aber es ziehen auch immer mehr Weiße in diese Gegend. Sie ist sicher, ruhig, zentrumsnahe, hat eine gute Infrastruktur und gute Anbindung an das U-Bahnnetz. Es scheint hier eine ähnliche "centrification" vor sich zu gehen wie im Brunnenviertel in Ottakring.

Aber auch in Central Harlem sieht man mehr Weiße, als angeblich noch vor einigen Jahren. Ganz Harlem ist im Laufe der letzten 10 Jahre ziemlich sicher geworden. Das erzählen nicht nur die Leute, die hier schon länger wohnen, sondern das entspricht auch meinem persönlichen Eindruck. Vor allem Menschen mittleren Alters ohne Kinder ziehen hierher. Es gibt viele Grundschulen in der Gegend und man sieht ständig Schulklassen unterwegs auf der Straße. Aber mir ist in vier Wochen erst ein einziges weißes Schulkind aufgefallen. Die Afro-AmerikanerInnen erlebe ich überwiegend als sehr freundlich und man kommt mit ihnen leicht in Kontakt. Bei den Hispanics ist es manchmal etwas anders. Vielleicht liegt es daran, dass sie zum Teil nicht Englisch sprechen können oder wollen. Die meisten Latinos leben in Ost-Harlem, dem sogenannten Spanish-Harlem. Was ich besonders lustig finde, sind die Spanish-Supermarkets, dort läuft den ganzen Tag laute Latino-Musik, Shopping wie auf einer Party.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen