Samstag, Jänner 31

Geburtstag

Heute ist mein Geburtstag! Und das halbe Hostel rückt aus um in einem Nachtclub in der City zu feiern! - Nur war nicht mein Geburtstag der Anlass dafür. Einer meiner neuen Bekannten wird von dem Club dafür bezahlt, dass er Touristengruppen ankarrt. Was für uns dabei herausspringt: Wir bezahlen nur den halben Eintritt und bekommen zur Begrüßung eine 2-Liter-Flasche Wodka mit Säften zum Mischen. Das Lokal selber ist zwar sehr stylisch, aber es fehlt an Atmosphäre. Wir sind wohl nicht die einzige Touristengruppe, die hier angeschleppt wurde. Man bleibt unter sich und redet hauptsächlich mit den eigenen Leuten. Es heißt, die New Yorker gehen kaum noch in solche Clubs, wegen der Wirtschaftskrise. Nachdem wir zusammen die monumentale Wodka-Flasche geleert haben, steigt die Stimmung doch etwas, aber besonders aufregend wird der Abend nicht mehr. Die Lokale in der West-Village, in Harlem oder in Williamsburg sind vielleicht etwas schmuddeliger, aber sie haben mehr Seele.

Freitag, Jänner 30

Museum of Modern Arts (MoMA)

Die meisten Museen haben einmal in der Woche bei freiem Eintritt geöffnet, deswegen gehe ich heute mit ein paar Freunden in das Museum of Modern Arts (MoMA). In der Halle im Ergeschoß findet ein Massen-Yoga-Training für Museumsgäste statt, umgeben von einer in Rosa- und Orange-Tönen gehaltenen Videoinstallation.

Besonders gefallen mir die Exponate in der Design-Abteilung, vor allem die Möbel. Aber auch Exponate wie die erste Spielzeug-Spiralfeder, die von alleine Stiegen hinunter gehen kann, die heißen "Slinky". Vor den Andy Warhol Bildern lassen sich TouristInnen fotographieren. Einer meiner US-Amerikanischen Begleiter macht mich auf die Tropf-Bilder von Jackson Pollock aufmerksam, der wird hier als einer der größten US-Maler der Geschichte gefeiert.

Montag, Jänner 26

Unterrichten in den USA

Es gibt stetige und diskrete MathematikerInnen. Die stetigen messen mit einem Lineal und stehen auf gebogene Linien, sich windende Flächen und physikalische Phänomene wie Magnetfelder und Luftströme. Die diskreten zählen lieber "1, 2, 3" (ganz ohne Lineal), bauen geometrische Objekte nur aus Punkterln und Stricherln und spielen gerne mit Buchstaben herum. Ich bin durchaus diskret und selten stetig.

Ursprünglich hat man mir City College, sehr zu meinem Missfallen, zwei Vorlesungen aus dem Bereich der stetigen Mathematik zugeteilt: Differentialgleichungen und mehrdimensionale Analysis. Ich kann zwar alle undergradute Vorlesungen (entspricht bei uns den Vorlesungen im Bachelor-Studium) halten, aber man hat natürlich seine Vorlieben. Die Vorlesung über Differentialgleichungen (am untersten Rand meiner Prioritätenliste) konnte ich nach vorsichtigen Protesten schließlich durch elementare Wahrscheinlichkeitstheorie ersetzen, eines meiner Lieblingsfächer. Die zweite Vorlesung über mehrdimensionale Analysis für Ingenieure bleibt mir allerdings nicht erspart.

Was mich etwas nervös macht, sind nicht fachliche Belange, sondern, dass mir das US-amerikanische System zu unterrichten vollkommen fremd ist. Vor allem das Organistarische: Syllabus, homwork-assignments, mini-exams (quizzes), text-books, mid-terms, finals, blackboard-internetplattform, Math-Department-internet-plattform... wie läft das alles im Detail nun wirklich ab? An welchen jüdischen Feiertagen darf man mini-exams abhalten und an welchen nicht? Und woher soll ich bitte wissen, welche Religionsgemeinschaft an welchen Tagen höhere Feiertage hat? Wie oft sollte man die Anwesenheit kontrollieren? Welche Konsequenzen gibt es beim wievielten mal zu spät kommen? Und die Frage aller Fragen: Welche Prüfungen dürfen die Studierenden in die blauen und welche in die rosa Prüfungshefte schreiben? Oder sind die blauen für die Manderln und die rosaroten für die Weiberln? Und bei welchen Prüfungen dürfen sie auf weißes Papier schreiben? All dies und noch viel mehr herauszufinden, war die Aufgabe meiner ersten Arbeitswoche. Aber was erwarten die Studierenden nun vom eigentlichen Unterricht?

Freitag, Jänner 23

Sonne

Endlich wird es wärmer, endlich hat es Plusgrade, die Sonne scheint. Kommt nun endlich der Frühling? Im Central Park schmilzt der Schnee. Langsam wird mir klar wir groß diese Anlage wirklich ist. Man sieht die Skyline im Hintergrund und glaubt, bereits das Ende das Parks fast erreicht zu haben, aber dann geht es doch noch ewig weiter. Offenbar habe ich bis jetzt erst ein kleinen Teil des Parks ausgekundschaftet. In der Mitte des Parks liegt ein großer See. Ob man dort im Sommer Boote ausleihen kann?

Auf der 125ten Straße stehen noch immer die Obama-Fanartikelverkäufer am Gehsteig und verkaufen Obama-Buttons, Obama-Sticker, Obama-Tassen, Obama-T-Shirts, Obama-Jacken, Obama-Kappen. Aber langsam kehrt doch der Alltag wieder ein in Harlem.

Donnerstag, Jänner 22

Kaiser Franz Josef

Heute starten Peter und ich eine Lokaltour. Erster Stop ist ein kleines Cafehaus in SoHo, wo angeblich "Sex and the City" gedreht wurde. Eingefleischtere Fans werde vielleicht wissen, wovon ich spreche. Die anscheinend berühmten "Cup-Cakes" sehen sehr nett aus. Das sind Bisquitstücke mit bunter Zuckercreme oben drauf, die Form ähnlich wie Muffins. Danach fahren wir mit der U-Bahn nach Williamsburg in Brooklyn. Ein wirklich nettes, stylisches original 50er-Jahre Lokal ist orange ausgeleuchtet. Es wirkt von außen wie eine silberne Wellblechkiste, ähnlich den U-Bahnen. Eine andere Cocktailbar erinnert mich an ein altes, liebevoll eingerichtetes französisches Landhaus. Und dann gibt es noch den "Biergarten", ein deutsches Lokal, so heißt es. Deutsch? Über dem Eingang ist ein K&K-Doppeladler abgebildet. Er ist schwer als solcher zu erkennen, denn er wurde offenbar vor langer Zeit von Hand gemalt. Das muss ich mir näher ansehen. Im Schankraum alte Holztische und eine lange alte Theke. Und hinter der Theke, ganz in der Mitte, oben unter der Decke ein großes Bild: Kaiser Franz Josef blickt väterlich auf seine Untertanen herab und zu seiner rechten Franz Ferdinand. Es stellt sich heraus, dass kaisertreue Slowaken, die nach New York ausgewandert sind, dieses Lokal gegründet haben. Ein netter Ort. Schade nur, dass das kulinarische Angebot nicht über "bratwurst with french fries" hinausreicht.

Dienstag, Jänner 20

Die Angelobung

Peter und ich beschließen die Angelobung am City College mitzuverfolgen. Decke und Balusrade der riesigen Great Hall im neugothischen Hauptgebäudes sind aufwändig mit Holz vertäfelt, ein imposanter Saal. Auf Kosten des Colleges wurde ein reichhaltiges Buffet aufgebaut. Eingeladen sind nicht nur Professoren sondern auch StudentInnen.

Auf der Videoleinwand läuft die Fernsehübertragung auf Washington D.C. Prominente Persönlichkeiten werden gezeigt, wie sie der Reihe nach den Bereich auf der Terrasse betreten, wo in Kürze die Angelobung stattfinden wird. Die Menschanmassen unten im Park und auf der Straße sind gewaltig. Als der neue Vize-Präsident Joe Biden zum ersten mal zu sehen ist, applaudieren die Menschen in der Great Hall, einzelne Zwischenrufe. Alle warten auf den Superstar. Für einen kurzen Augenblick kommt Michelle Obama ins Bild und sofort springen viele von ihren Stühlen auf, Geschrei, Applaus. Vor allem afroamerikanische Frauen jubeln ihr händeringend zu. Obama selbst wird natürlich mit allgemeinen standing ovations begrüt.

Die Erwartungen an eigentliche Rede nach der Angelobung sind enorm. Alle wollen wieder eine Rede hören, die in die Geschichtsbücher eingeht. Das Wort "historisch" ist allgegenwärtig. Obama hat einige Reden gehalten, die man in der Tat noch sehr oft zititieren wird, ob in New Hampshire, Pennsylvania oder sonst wo. Aber etwas "historisches" kann sich nicht alle zwei Wochen wiederholen. Obama bringt keine kontroversiellen Themen, bricht keine Tabus, über die man sonst nicht sprechen will, bringt auch keine kurzen eingehenden Phrasen, sondern bleibt sachlich, und spricht die zentralen Themenbereiche an. Natürlich verzichtet er als brillianter Redner nicht darauf immmer wieder rethorische Stilmittel einzusetzen.

Als sich die Menschen langsam aus dem Saal bewegen blickt mich eine ältere afroamerikanische Dame an, sie ist offenbar schon den Tränen nahe: "Es war so schön, es war so schön. Wie hat es Ihnen gefallen? War das nicht sooo schön. Dass ich das noch miterleben darf, oh mein Gott..." Dann brabbelt sie noch unvertändliches Zeug vor sich her und geht kopfschüttelnd weiter.

Auf der Titelseite eine Zeitung ist nur ein ganzseites Bild von Obama mit der Schlagzeile "President Barack Obama." Diese drei Worte müssen die Menschen wohl noch öfter lesen und höhren, bevor sie es glauben können. Alles ist zur Zeit "historisch". Es bleibt nur zu hoffen, dass Obama bei all dieser Verehrung, die er als relativ junger Mann erfährt, nicht größenwahnsinnig wird.

In Europa wird die Obama-Mania wohl bald verstummen. Obama ist eine amerikanischer Präsident, der amerikanische Politik machen wird, und keine europäische. Ich erinnere mich an die Entrüstung als Schwarzenegger nach seiner Angelobung als Governeur von Kaliforinien Menschen, die zum Tode verurteilt waren, nicht begnadigte. Auch damals gab es keinen Anlass etwas anderes zu erwarten.

Montag, Jänner 19

Martin Luther King Day

Wer im L-Hostel über das Internet bucht, bekommt ein Begrüßungsemail. Nach einer Reihe von Instruktionen, was zu tun und was zu unterlassen ist, heißt es weiter: "Please joint in our Harlem tradition by Saying Good morning, Good afternoon, to people as you walk down our street." Und es kann einem hier tatsächlich passieren, dass man von fremden Leuten auf der Straße oder im Bus gegrüßt wird. Die Menschen in Harlem sind sehr freundlich und entspannt.

Die Temperatur hat sich um die null Grad eingependelt, dichtes Scheetreiben, große Flocken. Am Nachmittag spaziere ich Richtung Columbia University, die wesentlich näher beim Hostel liegt als das City College. Im Schnee am Gehsteig wartet eine Schlange von Menschen bei einer Lebensmittelausgabestelle für Bedürftige. Durch einen Park führen Stiegen hinauf zum Campus der Columbia University. Eine Allee, deren Bäume mit Lichterketten behängt sind, führt zum Hauptplatz des Campus - eine beeindruckende Anlage mit neoklassizistische Gebäuden. In der Mitte des Platzes ist eine Videoleinwand aufgebaut, LKWs mit großen Lautsprecheranlagen spielen Musik, letzte Vorbereitungen für morgen werden getroffen. Einige Leute bleiben trotz des Schneefalls vor der Leinwand stehen und sehen sich alte Aufnahmen von John F. Kennedys Angelobung an. Man bringt sich schon in Stimmung, wie im Advent, wenn alle auf Weihnachten warten. Morgen ist der große Tag.

Ich nehme die U-Bahn Richtung Downtown. Die Zeitungen der Menschen im Zug sind voll von Obama-Stories, Obama, Obama, Obama, überall Obama, und die morgige Extraausgabe wird auch schon angekündigt. Nicht nur, dass die eigentliche Angelobung zu Mittag an vielen zentralen Orten übertragen wird - was mich besonders wundert ist, dass für die Abendstunden fast jede Bar irgendeine Art von "Inauguration-Party" ankündigt. Auch im Hostel liegen schon seit Tagen Flyer für solche Parties auf. Ich hätte mir in den wildesten Phantasien nicht ausmalen können, welche Ausmaße die Obama-Mania hier annimmt. Und erstaunlicher Weise leidet noch niemand an den Symptomen einer Überdosis.

Martin Luther King Day ist eine Feiertag, aber die Geschäfte haben trotzdem geöffnet. Als Brunnenviertler muss ich natürlich nach SoHo. Was SoHo in New York mit SoHo in Ottakring zu tun haben soll, kann man auf den ersten Blick nicht ganz verstehen. SoHo in New York ist ein Paradies für shoppingsüchtige Designerfreaks mit genug Geld in der Tasche. Vermutlich war es vor vielen Jahren einmal so, wie manche das Brunnenviertel in Zukunft gerne sehen würden. In einem Kellerlokal fällt mir eine grün ausgeleuchtete supergestylte Boutique auf, der Verkäufer mit bunten, eckigen Brillen, seltsamen Wangenbart und schwarzem Anzug. Subsatellit in 30 Jahren? (Anm.: Subsatellit ist ein Kelleratelier in der Gaullachergasse im Brunnenviertel). Bei dem Gedanken läuft es mir kalt über den Rücken, eine absurde Vorstellung. Ganz so wird es wohl nicht kommen, aber niemand weiß, wie die Zukunft des Brunnenviertels aussehen wird. Nichts kann bleiben, wie es ist. Denn was sich nicht verändert, stirbt irgendwann ab.

Auf dem Weg nach Hause beschließe ich spontan bei der Grand Central Station einen Zwischenstop einzulegen. Ein gewaltiger Bau aus edlem Marmor, sehr beeindruckend. Man kann sich gut vorstellen, wie damals die Menschen von hier aus Richtung Westen aufgebrochen sind. "Flying in from London to your door." Was heute John F. Kennedy Airport ist, war wohl früher die Grand Central Station, das Tor zur Welt.

Sonntag, Jänner 18

Architekt und Professor

Im Hostel habe ich Peter kennengelernt. Er ist ein französischer Architekt, ungefähr in meinem Alter, beruflich oft im Ausland unterwegs. Über die Hompage der amerikanischen Architektenvereinigung hat er von einer kostenlosen Führung von "Urban Archivist" Miriam Berman am Madison Square erfahren, wo das berühmte Flatiron Building (der Grundriss sieht aus wie ein Bügeleisen) steht, das erste Hochhaus New Yorks. Miriam ist eine sehr aufgeweckte und gebildete Dame, die seit über 30 Jahren hier im Flatiron district lebt. Sie hat ein Buch über die Geschichte des Platzes geschrieben, quasi eine Wissenschaftlerin mit Spezialfach "Madison Square". Jedes einzelne Gebäude wird besprochen, seine Geschichte, die wirtschaftliche Enwicklung, sie erzählt unterhaltsame Anektoten über die früheren BewohnerInnen und manchmal auch noch Abhandlungen über die Gebäude die hier in grauer Vorzeit einmal gestanden sind. Jeder Gartenzaun, jeder Brunnen, jede Statue birgt eine Geschichte. Vieles unterlegt Miriam mit historischen Fotographien, oft auch aus ihrem Buch. Peter hat ihr mittlerweile die große Tasche abgenommen, damit sie beide Hände frei für ihre Vorführung hat. Wir waren die einzigen Teilnehmer der Führung, quasi eine Privattour, vermutlich sind es im Sommer mehr. Die Temperatur ist mittlerweile zwar auf knapp unter Null gestiegen, aber meine Füße sind nach 2 Stunden und 40 Minuten Vortrag im Freien völlig abgefrohren. Am Ende empfiehlt sie uns noch ein seit den 40er Jahren unverändert gebliebenes Imbisslokal in der 5ten Avenue hinter dem Flatironbuilding, das in erster Linie für seine Sandwiches bekannt ist, bevor sie sich verabschiedet und hinter dem nächsten Block verschwindet. Wir wärmen uns dort mit Matzah ball soup auf, eine jüdische Spezialtät, von der ich schon öfter gehöhrt habe, sie aber noch nie probieren konnte. Ein bemerkenswerter Vormittag.

Am Nachmittag gibt es eine weitere Stärkung in einem Imbisslokal in Chinatown, danach spazieren wir über die Brooklyn Bridge. In der Ferne sehe ich sehr zum ersten mal die Freiheitsstatue. "Jetzt muss du dir etwas wünschen!" Aber wie das mit solchen Wünschen ist, die muss man für sich behalten, sonst gehen sie nicht in Erfüllung.

Nach einem Nickerchen zu Hause im Hostel zieht es uns am Abend wieder in die City, in einen kleinen Jazzclub.

Der Architekt und der Professor, die in einem Hostel in Harlem abgestiegen sind. Dass wir in keinem Hotel wohnen, finden manche Leute wohl eigenartig. Hostels sind eben der bessere Weg um alleine zu reisen, man lernt immer wieder neue und interessante Leute kennen.

Samstag, Jänner 17

Central Park

Am Morgen ist es noch immer zu kalt um die Stadt zu erforschen. Das Hostel hat eine große Küche, die gleichzeitig der Speisesaal ist. Dort ist es allerdings ziemlich kühl. Längere Zeit sitzen kann man nur im Fernsehraum, dem einzig richtig warmen Aufenthaltsraum. Dort gibt es gemütliche Sofas, bunte Polster und Teppiche. Leider läuft die ganze Zeit der Fernseher, im Moment ein Programm über Traumhochzeiten. Unterhaltsamer als das Programm selbst sind die laufenden Kommentare von zwei Schwulen, die z.B. beim Anblick eines rückenfreien Hochzeitskleids in Verzückung fallen. Wie ich später erfahren habe, arbeitet einer von ihnen als Modedesigner.

Im Lauf des Tages lässt der Frost etwas nach, das heißt, wir haben jetzt -7 Grad Celsius. Am späteren Nachmittag gehe ich erstmals laufen in den Central Park "where they say you should not wonder after dark", der ist 18 Blocks von hier entfernt, das ist nicht sehr weit. Eigentlich recht nett das Areal, etwas hügeliger und bewaldeter, als ich mir das vorgestellt habe. Die Wege verlaufen alle in Schlangenlinien. Wenn man sich da nicht an den Hochhäusern in der Ferne orientiert, verliert man leicht die Orientierung (was mir natürlich sofort passiert ist). Aber zum Glück sind die Straßen in New York bekanntlich so nummeriert, dass selbst Leute wie ich, die ohne Orientierungssinn durchs Leben irren, sich jederzeit neu orientieren können. Und auch "after dark" ist es kein Problem durch den Central Park zu joggen. Hier lungern keine zwielichtigen Gestalten herum, jedenfalls nicht bei -7 Grad.

Freitag, Jänner 16

Erster Tag an der Uni

Heute gehe ich zu Fuß zur Uni, das dauert etwa ein halbe Stunde, ich will die Gegend auskundschaften. Fast jedes Geschäft hat hier ein Obama-Poster in der Auslage. Manche haben fast religiöse Züge, z.B. das Poster mit der Dreifaltigkeit: Unten links in klein Martin Luther King, unten rechts in klein John F. Kennedy, darüber strahlend in groß: Barack Obama.

Der Campus ist sehr OK, ein paar neugothische Gebäude, wie es sich im englischsprachigen Raum für eine Uni mit Geschichte gehört, und dazu einige Neubauten. Zuerst bekomme ich einen Security-Pass, und da steht es nun Schwarz auf Weiß: "Professor". Ob auf der amerikanischen Botschaft oder beim Zoll in Wien am Flughafen, ein "Assistent" ist einer der kopieren geht und Kaffee kocht. "Dann sind Sie also Dozent?" - "Nein, auch kein Dozent." - "Ach so, Sie studieren." - "Nein, ich bin Assistent." Der österreichische Zollbeamte gibt verwirrt auf. Den Amerikanischen Behörden erzählt man solche Geschichten besser nicht, sonst gibt es Komplikationen.

Die Leute auf der Uni am City College sind sehr freundlich und zuvorkommend. Am 20. Jänner möge ich unbedingt in die Great Hall kommen. Die Uni lädt ein zu einer Feier mit Buffet und Drinks, anlässlich des historischen Tages, die Angelobung. Von einer Uni erwartet man sich in Österreich, dass sie parteipolitisch neutral ist. Das scheint hier nicht so zu sein. Das City College wird manchmal das "Harward der Farbigen" genannt, eine öffentliche Uni, die damit wirbt, dass sich hier Menschen aus unterprivilegierten Schichten nach oben arbeiten und den amerikanischen Traum verwirklichen können. Wo, wenn nicht hier, wird Obama gefeiert.

Am Campus liegt die aktuelle Ausgabe der Uni-Zeitung "The Paper" auf, "Medium for people of African descent". Die ist zu zwei Drittel voll mit Artikeln über Obama, seine Famile, Berichte von den Jubelszenen in der Wahlnacht auf Harlems Straßen, Obama-Buch-Empfehlungen, alte Geschichten aus der Vergangenheit, z.b. über Leben und Wirken von D.W. Griffith, einer der Gründer des Ku Klux Klans.

Ich freue mich schon auf den 20. Und jetzt, da das Rennen gelaufen ist, kann ich auch zugeben, dass ich im Zuge des Vorwahlkampfes gegen Clinton 20$ an das Team von Obama gespendet habe. Offiziell dürfen keine Gelder aus dem Ausland angenommen werden. Ich habe einfach meine alte Urlaubsadresse aus Colorado angegeben. Irgendwie habe ich schon damals das Gefühl gehabt, dass er es schaffen könnte, auch wenn viele geunkt haben, dass nur Hillary Clinton gegen MacCain gewinnen könne.

Für mich spielt es keine Rolle, welche Hautfarbe Obama hat. Der Punkt ist, dass er einiges im Kopf hat. Ob er es umsetzen wird können, muss sich erst zeigen. Aber ich habe Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit der amerikanischen Gesellschaft. Vor Kurzem haben die Österreicher die Amerikaner noch ausgelacht, weil sie einen Mann wie George W. Bush zum zweiten mal zu ihrem Präsidenten gemacht haben ("gewählt", hat man mir einmal in Colorado erklärt, sei der falsche Ausdruck). Dass knapp die Hälfte der Amerikaner ihm ein zweites mal ihre Stimme gegeben haben, war in der Tat eine sehr erstaunliche Begebenheit. Wir hatten mit Gusenbauer einen promovierten Intelektuellen als Kanzler, die Amerikaner George W. Bush. Da lässt es sich leicht spotten. Jetzt wird Obama als Präsident angelobt, und wir haben Werner Faymann als Bundeskanzler. Hochmut kommt vor dem Fall. Und während in den USA ein Farbiger Präsident wird, erzählt der neue Landeshauptmann von Kärnten einen peinlich rassistischen Witz über eine "Negermama" vor versammelter Presse. Der Begriff "Alpentrottel" wurde von Joseph Roth geprägt. Ich würde mir wünschen, dass manche meiner Landsleute etwas weniger arrogant und abschätzig über Amerika sprechen würden.

In meinem Dienstvertrag steht, dass ich dazu verpflichtet bin "keine Tätigkeit aufzunehmen, die (...) dem Ansehen Österreichs abträglich ist", eine Standardvorgabe aus dem Ministerium. Ich hoffe, nicht gerade eben dagegen verstoßen zu haben. Im Grunde ist es natürlich in Ordnung, das von den "Auslandsentsandten" zu verlangen. Diese peinlichen Details der österreichischen Innenpolitik würde ich auch nicht im Ausland groß ausbreiten, und vor allem nicht auf englisch. Es schimpft sich gegenüber den eigenen Leuten einfach besser.

Donnerstag, Jänner 15

Ankunft

"To that tall skyline I come, flying in from London to your door..." Mit diesem Ohrwurm steigt die Vorfreude auf den Landeanflug. Der Kapitän warnt, dass es zu Turbulenzen kommen wird. Leider habe ich die Seasick-Pills in einem der eingecheckten Koffer. Das stundenlange Babygeschrei auf dem Sitz hinter mir heute Morgen und der 150kg schwere Amerikaner links neben mir haben mir auf dem Flug von Wien nach London wenig ausgemacht. Aber diese Übelkeit geht mir jetzt auf die Nerven. Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und statt eines Blicks auf Skyline und Freiheitsstatue gibt es nur einen Blindflug durch dichte Wolken und ich kämpfe gegen das Erbrechen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir noch nicht gewusst, dass in New York gerade eben ein Passagierjet in den Hudson gestürzt ist - alle Passagiere haben überlebt.

Die U-Bahn ist genau wie in den Filmen. Allerdings fahren diese Blechkisten besser als sie aussehen. Irgendwo in Brooklyn steigt ein betrunkener verwahrloster Afroamerikaner ein und schnorrt die Leute um Geld an. Niemand gibt ihm etwas. Nachdem er mich gefragt hat, wendet er sich an ein farbiges Pärchen neben mir und spricht den Mann an: "Hey, you are my brother, have you got some change..." Was für mich soviel heißt wie: "Hey, du bist mein Bruder, weil du auch eine dunkle Haut hast, im Gegensatz zu dem anderen Typen da. Hast du vielleicht etwas Geld für mich?" Nicht gerade die ideale Begrüßung für jemanden, der die nächsten Monate in Harlem leben wird. Das Pärchen hat ihm am Ende auch nichts gegeben.

Der Regionalzug bleibt nur in der 125. Straße stehen. Das heißt, ich muss umsteigen und mit der lokalen Linie zurück zur 116. Straße. Die unterirdische Station in der 125. Straße wirkt ziemlich finster und heruntergekommen, überall alte, schwarz gestrichene, teils verrostete Stahlträger, am Bahnsteig eine Gruppe von Arbeitern, offenbar Wartungsarbeiten. Ich bin der einzige Weiße weit und breit. Der Mann, den ich nach dem Zug frage, ist schon wesentlich freundlicher als der Bettler im Zug. Links und rechts je einen großen Koffer in der Hand und einen Rucksack am Rücken schleppe ich mich über die Stiegen hinüber zum anderen Bahnsteig. "Hey, strong man!" ruft einer der Arbeiter und winkt mir zu. Ich kann nicht zurückwinken, weil ich keine Hand frei habe.

In der 116. Straße kämpfe ich mich mit dem ganzen Gepäck Stufe für Stufe die Stiegen nach oben, diesmal bis zum Straßenausgang. Jetzt, endlich die letzte Stufe erreicht, zum ersten mal in New York. Wow. Die Backsteinhäuser mit den Feuerstiegen aus Eisen, die gelben Taxis, die vielen Lincholn Town Cars, die so weich gefedert sind, dass sie immer so komisch vor- und zurück-wippen, alles wie im Film. Hello New York! Es ist sehr kalt, weit unter Null, etwas Schnee liegt am Straßenrand. Nachdem ich mit so viel Gepäck unterwegs bin, bleibe ich wenigstens halbwegs warm. Das L-Hostel in der 118. Straße ist leicht zu finden. Im Vergleich zu anderen Hostels ist es wirklich ziemlich OK. Gemischtes internationales Publikum, alles sauber und nett eingerichtet.

Der Tag vor dem Abflug war sehr lange und anstrengend. Positiver Höhepunkt war die letzte Vorlesung über Graphen und Gruppen am Vormittag, wo diesmal StudentInnen am Wort waren und den Beweis des Stallingschen Struktursatzes über Enden von Gruppen mit schönen Vorträgen über Bass-Serre-Theorie abgeschlossen haben. Das war ein erfreulicher Abschied. Mittlerweile sind ca. 40 Stunden vergangen, es ist 10 Uhr Abends (US Zeit). Ich bin völlig am Ende und will nur noch ins Bett. Aber zuerst muss ich etwas Essbares auftreiben. Die Küche in dem Lokal an der Ecke zum Malcolm X Blvd. ist bereits geschlossen. Mittlerweile ist die Temperatur auf -15 Grad gesunken. Der Wind macht diese Kälte brutal, vor allem wenn man weder eine Gesichtsmaske noch lange Unterhosen hat. Im Supermarkt finde ich Bagles, sharp cheddar cheese, Salat, Karotten und Budweiser - endlich Feierabend.