Donnerstag, Jänner 15

Ankunft

"To that tall skyline I come, flying in from London to your door..." Mit diesem Ohrwurm steigt die Vorfreude auf den Landeanflug. Der Kapitän warnt, dass es zu Turbulenzen kommen wird. Leider habe ich die Seasick-Pills in einem der eingecheckten Koffer. Das stundenlange Babygeschrei auf dem Sitz hinter mir heute Morgen und der 150kg schwere Amerikaner links neben mir haben mir auf dem Flug von Wien nach London wenig ausgemacht. Aber diese Übelkeit geht mir jetzt auf die Nerven. Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und statt eines Blicks auf Skyline und Freiheitsstatue gibt es nur einen Blindflug durch dichte Wolken und ich kämpfe gegen das Erbrechen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir noch nicht gewusst, dass in New York gerade eben ein Passagierjet in den Hudson gestürzt ist - alle Passagiere haben überlebt.

Die U-Bahn ist genau wie in den Filmen. Allerdings fahren diese Blechkisten besser als sie aussehen. Irgendwo in Brooklyn steigt ein betrunkener verwahrloster Afroamerikaner ein und schnorrt die Leute um Geld an. Niemand gibt ihm etwas. Nachdem er mich gefragt hat, wendet er sich an ein farbiges Pärchen neben mir und spricht den Mann an: "Hey, you are my brother, have you got some change..." Was für mich soviel heißt wie: "Hey, du bist mein Bruder, weil du auch eine dunkle Haut hast, im Gegensatz zu dem anderen Typen da. Hast du vielleicht etwas Geld für mich?" Nicht gerade die ideale Begrüßung für jemanden, der die nächsten Monate in Harlem leben wird. Das Pärchen hat ihm am Ende auch nichts gegeben.

Der Regionalzug bleibt nur in der 125. Straße stehen. Das heißt, ich muss umsteigen und mit der lokalen Linie zurück zur 116. Straße. Die unterirdische Station in der 125. Straße wirkt ziemlich finster und heruntergekommen, überall alte, schwarz gestrichene, teils verrostete Stahlträger, am Bahnsteig eine Gruppe von Arbeitern, offenbar Wartungsarbeiten. Ich bin der einzige Weiße weit und breit. Der Mann, den ich nach dem Zug frage, ist schon wesentlich freundlicher als der Bettler im Zug. Links und rechts je einen großen Koffer in der Hand und einen Rucksack am Rücken schleppe ich mich über die Stiegen hinüber zum anderen Bahnsteig. "Hey, strong man!" ruft einer der Arbeiter und winkt mir zu. Ich kann nicht zurückwinken, weil ich keine Hand frei habe.

In der 116. Straße kämpfe ich mich mit dem ganzen Gepäck Stufe für Stufe die Stiegen nach oben, diesmal bis zum Straßenausgang. Jetzt, endlich die letzte Stufe erreicht, zum ersten mal in New York. Wow. Die Backsteinhäuser mit den Feuerstiegen aus Eisen, die gelben Taxis, die vielen Lincholn Town Cars, die so weich gefedert sind, dass sie immer so komisch vor- und zurück-wippen, alles wie im Film. Hello New York! Es ist sehr kalt, weit unter Null, etwas Schnee liegt am Straßenrand. Nachdem ich mit so viel Gepäck unterwegs bin, bleibe ich wenigstens halbwegs warm. Das L-Hostel in der 118. Straße ist leicht zu finden. Im Vergleich zu anderen Hostels ist es wirklich ziemlich OK. Gemischtes internationales Publikum, alles sauber und nett eingerichtet.

Der Tag vor dem Abflug war sehr lange und anstrengend. Positiver Höhepunkt war die letzte Vorlesung über Graphen und Gruppen am Vormittag, wo diesmal StudentInnen am Wort waren und den Beweis des Stallingschen Struktursatzes über Enden von Gruppen mit schönen Vorträgen über Bass-Serre-Theorie abgeschlossen haben. Das war ein erfreulicher Abschied. Mittlerweile sind ca. 40 Stunden vergangen, es ist 10 Uhr Abends (US Zeit). Ich bin völlig am Ende und will nur noch ins Bett. Aber zuerst muss ich etwas Essbares auftreiben. Die Küche in dem Lokal an der Ecke zum Malcolm X Blvd. ist bereits geschlossen. Mittlerweile ist die Temperatur auf -15 Grad gesunken. Der Wind macht diese Kälte brutal, vor allem wenn man weder eine Gesichtsmaske noch lange Unterhosen hat. Im Supermarkt finde ich Bagles, sharp cheddar cheese, Salat, Karotten und Budweiser - endlich Feierabend.

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