Freitag, März 13

Schnittlauch

Richtung Norden gibt es ein paar kleiner Parks entlang der Edgecombe Avenue. Da laufe ich öfters bergauf bis zur Highbridge, über die die erste Wasserleitung nach Manhatten führt. Dort steht ein schmaler, alter hoher Turm am Gipfel des Hügels. Mit dem Cental Park kann man das nicht vergleichen, aber es ist grün und am Ende hat man eine Aussicht - über Harlem River und Autobahnen hinüber in die Bronx. Als erste wachsen hier nicht die Schneeglöckchen, sondern Schnittlauch, überall wächst hier Schnittlauch!

Samstag, März 7

Schneeglöckchen

Gestern ist Jörg in New York angekommen, er bleibt eine Woche. Wir werden zusammen eine Konferenz besuchen. Und Jörg hat den Frühling mitgebracht. Es hat angenehme 20 Grad und die Sonne scheint. Beim Spaziergung im Central Park trage ich Pullover und Jacke in der Hand, ein T-Shirt ist heute ausreichend. Nachdem es vor wenigen Tagen noch stark geschneit hat, liegen noch immer Schneehaufen am Wegrand, was bei diesen Temperaturen etwas seltsam erscheint. Und da sind sie endlich, die ersten Schneeglöckchen.

Freitag, März 6

Das Sockenmonster

Das Sockenmonster ist nicht nur in Europa heimisch. In den USA wütet es noch schlimmer als zu Hause. Obwohl ich nur die wenige Kleidung zu bewachen habe, die in meine zwei Koffer passt, hat es mir nach wenigen Wochen schon drei Socken weggefressen. Sagenhafte drei veschiedene einzelne Socken liegen nun vor mir, die ich bestenfalls noch als Putzlumpen verwenden kann.

Dienstag, März 3

216/123

Aus einer Prüfungsnachbesprechung zur kombinatorischen Wahrscheinlichkeitsrechnung: In einer Kiste liegen drei Äpfel, vier Bananen und fünf Orangen. Eine Frucht wird zufällig ausgewählt und dann wieder zurückgelegt. Alle Früchte werden mit der gleichen Wahrscheinlichkeit gezogen. Dies wiederholen wir ein zweites und drittes mal. Wie groß ist die Wahscheinlichkeit, dass wir drei mal die selbe Art von Frucht gewählt haben. Das korrekte Ergebnis ist (33+43+53)/123=216/123.

Die meisten Studierenden haben dies auch in der Prüfung geschafft. Dann war aber Endstation. An der ohnehin sinnlosen Rechnung 123=1728 sind ein weiteres Drittel gescheitert. Und den Bruch 216/1728 in gekürzter Form anzugeben haben am Ende genau 2 von 36 Studierenden geschafft. Allerdings nur nach zeitverschwenderischen Rechnungen.

Nachdem die Zahl 12 in seiner Primfaktorzerlegung 2⋅2⋅3 ist und 216 sich einfach schrittweise zerlegen lässt in 2⋅2⋅2⋅3⋅3⋅3, erhalten wir ohne weitere Mühe
216/123=2⋅2⋅2⋅3⋅3⋅3/(2⋅2⋅3⋅2⋅2⋅3⋅2⋅2⋅3). Diesen Bruch kann man sofort kürzen und das Ergebins ist die Wahrscheinlichkeit 1/(2⋅2⋅2)=1/8. Das heißt, im Schnitt ziehen wir bei einem von acht Versuchen drei verschiedene Früchte aus der Kiste.

Diese Botschaft schlägt ein wie ein Bombe. Mit großen Augen starren die Studierenden an die Tafel. So viel Magie auf einmal hat man im Zeitalter der Taschenrechner noch nicht gesehen. Selbst der Student, der gelegentlich Fragen zu nicht-Lebesgue-messbaren Mengen stellt, ist sichtlich angetan davon, wie man hier ohne Rechenaufwand zum richtigen Ergebnis kommt. Wenn ich nur mit bedingten Wahrscheinlichkeiten und Binomialverteilungen ähnlich viel Eindruck machen könnte wie mit dem Kürzen von Brüchen.

Die Dame, die noch vor ein paar Tagen Probleme mit Äpfeln, Birnen und der Anzahl von Getränken im Kaffeehaus gehabt hat, erreicht diesmal 13 von 14 Punkten. Und so zeigt sich wieder einmal, dass wir alle das Potential dazu haben, erfolgreich zu lernen und zu verstehen, wenn wir nur entsprechen hart arbeiten. Eine Botschaft, die in den USA populärer ist als in Österreich.

Montag, März 2

Winter

Es in der Tat viel geschneit. Manche Autos sind am Straßenrand vollkommen zugeschneit, Busse fahren mit Schneeketten, von Ausnahmezustand kann aber nicht die Rede sein.

Die Schneeglöckchen, die ich im Central Park vermute, wissen, warum sie auch nach ein paar Tagen Sonnenschein und angenehmen Plusgraden noch unter der Erde bleiben. Aber die Tage werden immer länger und länger.

Am Wochenende musste ich wieder arbeiten. Und jetzt Montag früh stapfe ich mit stapelweise korrigierten Prüfungen und Hausübungen im Rucksack zum College. Wie immer wird exzessiv Salz gestreut, vor allem am Gehsteig. Der Umwelt kann es vermutlich egal sein, das landet alles gleich wieder im Meer. Für die Schuhe der Menschen ist das weniger gut.

Sonntag, März 1

Schnee?

Gerade überrascht mich ein Email: "If you are wondering whether classes will be cancelled (and it's been a long time since CCNY has done so), the most reliable way to find out is to call the main campus phone number...". Angeblich werden wir heute Nacht eingeschneit. Was soll ich da meinen Freunden in Österreich erzählen, wo gerade Lawinenwarnstufe 4 ausgerufen ist und reguläre Skipisten gesperrt werden? Warum kann man von den Menschen hier nicht verlangen, dass sie einfach mit der U-Bahn aufs College kommen? Es ist doch egal wieviel Neuschnee es über Nacht gibt, kein Mensch braucht in New York ein Auto.

Donnerstag, Februar 19

Von Äpfeln und Birnen

Hausübungen werden hier so regelmäßig und in solchen Umfang vergeben, dass es unmöglich ist diese immer genau zu korrigieren. Es ist gängige Praxis, dies nur gelegentlich und auszugsweise zu tun. Die zweite Hausübung der Klasse in Wahrscheinlichkeitstheorie korrigiere ich also ausnahmsweise genauer, einfach um zu wissen, wo die einzelnen Studierenden stehen. Wer bei der Hausübung zeigt, dass er sich selbständig mit den Problemen auseinandergesetzt hat, bekommt eine positive Beurteilung, unabhängig davon, ob die Ergebnisse richtig sind.

Studierende, die nicht regelmäßig mitlernen, bekommen oft negative Noten. Aber ich lege den Schwierigkeitsgrad einer Lehrveranstaltung immer so an, dass auch die schwächsten Studierenden eine positive Note bekommen können, sofern sie das ganze Semester hindurch hart arbeiten. Was den Glauben an die Lernfähigkeit des Menschen betrifft, bin unverbesserlicher Optimist.

Nach der ersten kleinen Prüfung lade ich die schwächeren Studierenden in meine Sprechstunde um nach einem Gespräch den Zug wieder aufs richtige Gleis zu setzen. Eine asiatische Studentin hat sich mit großem Eifer über die Hausübung gemacht und dabei, so wie bei der Prüfung, seitenweise nur Unsinn fabriziert. In der Sprechstunde kläre ich erst ab, was sie studiert, ob sie schon jemals mathematische Kurse absolviert hat, ob sie berufstätig ist und wie weit sie Probleme mit der englischen Sprache hat. Nicht berufstätig, Calculus Eins positiv absolviert, Englisch ausreichend. Soweit, so gut.

Also machen wir uns an die Hausübungsbeispiele. Wenn ein roter und ein blauer Würfel geworfen werden, wieviele mögliche Resultate gibt es? Wenn der rote auf der Eins landet, gibt es für den blauen sechs Möglichkeiten. Wenn rote auf der Zwei landet, gibt es für den blauen wieder sechs Möglichkeiten. Also haben wir schon 12. Am Ende kommen wie auf insgesamt sechs mal sechs, also 36 Möglichkeiten.

In einem Geschäft kann man drei Sorten Obst, nämlich Äpfel, Birnen und Melonen kaufen, und zwar jeweils in den vier Farben gelb, grün, braun und rot. Das sind vier verschiedene Apfelsorten, vier verschiedenen Birnen- und vier verschiedene Melonensorten. Also insgesamt drei mal vier, das heißt 12 verschiedene Sorten.

Und jetzt gehen wir in ein Kaffeehaus, wo fünf verschiedene Getränketypen verkauft werden, und zwar in kleinen, mittleren und großen großen Bechern. "Wieviele verschiedene Getränke sind das?" richtet sich diesmal die Frage an die Studentin. "Acht." - "Warum acht??" - Sie blickt mich stolz und zuversichtlich an: "Weil fünf plus drei ist acht!" Ich flehe sie an: "Aber vorhin haben wir das doch anders gerechnet." - lange Pause - "Ich weiß nicht, ich verstehe das nicht. Ich versteh das einfach nicht." Schockiert starre ich sie an. Hunderte Gedanken rasen gleichzeitig durch meinen Kopf: "Du darfst niemals ungeduldig werden - du darfst niemals einem Studierenden sagen, er soll etwas anderes studieren - du darfst niemals einem Studierenden sagen, dass er dumm ist - vielleicht ist sie nur so nervös? - Nein, das kann nicht sein, sie hat ja bei der Hausübung auch nichts verstanden. - Hilfe! Hilfe! Was soll ich jetzt machen? Am Ende des Semesters muss ich den zentralen Grenzwertsatz unterrichten. Wie soll das jemals funktionieren? Auch wenn sie noch so fleißig ist..." Ich würge meine Gedanken ab, versuche meinen Schock zu verbergen, setze einen möglichst gleichgültigen Gesichtsausdruck auf und sage ganz ruhig zu ihr, so als wäre nichts gewesen: "Also. Wir haben fünf Getränketypen und drei Bechergrößen: small, medium und large. Wieviele verschiedene small Drinks kann ich bestellen." - "Fünf." - "Richtig." - "Und wieviele in medium?" - "Auch fünf." - "Richig." - "Das sind dann zusammen?" - "Zehn." - "Richig." - "Wenn das jetzt schon zehn sind, dann können es aber insgesamt nicht acht sein." Das gibt ihr zu denken. "Dann sind es insgesamt fünfzehn." - "Sehr gut! Und wie haben Sie das berechnet?" - "Fünf plus fünf plus fünf." - "Sehr gut! Also bei drei Bechergrößen und fünf Getränketypen gibt es drei mal fünf Möglichkeiten". - "Ich denke, ich habs jetzt." Zur Sicherheit überprüfe ich das noch einmal anhand eines anderen Beispiels, und siehe da, sie hat es verstanden.

Mit auf den Weg nach Hause gebe ich ihr die dringende Anordnung, sie möge sich auf den nächsten Test zusammen mit anderen StudentInnen vorbereiten und sich die relevanten Beispiele erklären lassen. Ein Kollege, bei dem ich mich nach diesem Erlebnis am Nachmittag ausweine, meint, es könne ja einfach daran liegen, dass die Studentin noch nie mit so eine Art von Mathematik konfrontiert wurde, bei der es um Texte und Verständnis geht. Da mag er Recht haben. In manchen Schulen bedeutet Mathematik hauptsächlich inhaltsloses Manipulieren von Zahlen- und Buchstabenausdrücken. Diese Probleme kenne ich auch Österreich.

In der gleichen Klasse sitzt aber auch ein völlig gelangweilter Student, der gelegentlich Fragen zu nicht-Lebesgue-messbaren Mengen stellt. Ich erinnere mich an die anfänglich Warnung eines Kollegen, dass die Voraussetzungen der StudentInnen am College sehr unterschiedlich sind, wie wahr.

Mittwoch, Februar 18

Mountain Dew

"Sprite" kann man als eine Arte weiterentwickelte Limonade betrachten, auch wenn das mit echten Zitronen nichts mehr zu tun hat. Selbst Coca-Cola geht auf ein Getränk zurück, das man ursprünglich aus natürlichen Zutaten herstellen konnte.

Jede noch so giftig bunte Süßigkeit, jede noch künstliche Limonade hat ihren Ursprung in etwas Natürlichem. Jede? Nein, es gibt auch so wundervolle Geschmacksrichtungen wie "Schlumpf". Wer kennt nicht die blau-transparenten Haribo-Schlümpfe? In Österreich kann man im Sommer gelegentlich auch Schlumpf-Eis finden, eine besondere Spezialität! Aber woraus wird Schlumpf-Aroma gewonnen?

Auch die Amerikaner haben ein solch großartiges Produkt: "Mountain Dew" ("Bergtau"). Eine giftig grün-gelbliche Limonade, die nach irgendwelchen undefinierbaren Chemikalien schmeckt. Der einzige naturnahe Inhaltsstoff ist vermutlich Zucker. Aber an was soll das Mountain Dew-Aroma erinnern? Verpackung und Farbe erinnern am ehesten an ein Geschirrspühl- oder Waschmittel. Auch das dynamische Label in Rot und Grün mit einer sich sausend drehende Spirale wirkt wie ein Wirbelwind, der kommt und alles sauber macht.

Ein Zitat von Wikipedia: "...dentists and health experts warn that Mountain Dew has high amounts of caffeine, sugar, and artificial ingredients that can lead to serious tooth decay and other serious health conditions." Mountain Dew hat einen auch im Verhältnis zu anderen Limonaden beeindruckenden ph-Wert von 3.1. Das liegt irgendwo zwischen Essig und Zirtonensaft. Ein solcher Säurewert in einem Gewässer wäre auch für ausgewachsene Fische tödlich.

Nichtsdestotrotz ist dieses Getränk durchaus populär. Ich kann mich zum Beispiel noch an das junge Brüderpaar aus Oklahoma erinnern, mit denen ich mir in einem Hostel ein Zimmer geteilt habe. Die sind für ein Wochenende nach New York geflogen um sich am Broadway "Mary Poppins" und "The Little Mermaid" anzusehen. Und nach den Vorführungen haben zu einem Sack voll MacDonalds-Essen eine 2-Liter Flasche Mountain Dew getrunken.

Montag, Februar 16

Fairway

Wenn ich zwei Blocks von meiner Wohnung entfernt die 138te Straße hinunter zur Westküste von Manhatten gehe, dann führt der Weg nach einer kleinen Unterführung links erst an ein paar Lokalen vorbei und verschwindet dann in einem Gewirr aus Baustellenabsperrungen und kaum genutzten umzäunten Park- und Abstellflächen. Hoch darüber eine tolle alte Metallkonstruktion mit imposanten Bögen, welche den Riverside Viaduct Drive trägt. Parellel dazu bilden die Autobahn, Eisenbahntrasse und zwei weitere Straßen hoch oben ein Dach auf unzähligen Betonpfeilern. Und irgendwo im finsteren Schatten der Autobahn versteckt sich in einer großen orangen Lagerhalle einer der best sortiertesten Supermärkte, die mir je untergekommen sind: "Fairway". Hier findet man alles, was gut und teuer ist. Internationale Wurstwaren, eingelegte italienische Pilze, die besten französischen Käsesorten, ob aus Schaf-, Ziegen- oder Kuhmilch, alles in großer Auswahl und aus aller Herren Länder. Und im Kühlregal der Milchwarenabteilung - eine Sensation - isländischer Skyr! Ein topfenähnliches Joghurt, mit hohem Proteingehalt und kaum Fett. Allerdings habe ich diese Skyr-Marke in Island noch nie gesehen. Das ist vermutlich ähnlich wie mit dem australischen Bier "Fosters". Das ist in Australien auch so gut wie nicht erhältlich. Und im Kaffeeregal - oh Schreck - Kaffe von Julius Meinl! Eine gute Idee, jetzt mit Meinl auf Export zu setzen, denn in Österreich wurde dieser Markenname nachhaltig ruiniert.

Donnerstag, Februar 12

Wellensittiche und Tauben

Heute bin ich nach ein paar Wochen Hostelleben in eine Wohnung gezogen. Sie gehört einer Opernsängerin, die für ein paar Wochen nach Los Angeles fliegt. Den seltsamen Stimmübungen zufolge, die aus der Nachbarwohnung trällern, ist sie aber nicht die einzige Sängerin im Haus. Die Wohnung ist, wie es sich für einen Opernsängerin gehört, mit altmodischen Stilmöbeln eingerichtet, und außerdem sehr hell. Ich fühle mich recht wohl hier. Teilen muss ich sie mir nur mit einem Wellensittichpärchen, das meistens frei in der Wohnung fliegen darf. Aber das stört mich als alten Papageienfreund gar nicht, ganz im Gegenteil. Besonders gerne baden sie in der Abwasch unter einem laufenden Wasserhahn. Gemüse und Obst essen sie nur in sehr bescheidenen Mengen. Sie bevorzugen das mit Vitaminen, Mineralstoffen und sonstigem Zeug versetzte Körnchenfastfood. Es sind eben doch amerikanische Wellensittiche.

Die Wohnung liegt im sechsten und obersten Stock eines typischen New Yorker Wohnhauses aus Backsteinen und mit eiserner Feuerstiege an der Außenwand. Draußen auf den Fensterbänken, ob Wohnung oder Stiegenhaus, sitzen den ganzen Tag gurrende und stinkende Flugratten herum, was insofern ein Problem ist, weil beim Lüften der Taubenkotgeruch ins Haus strömt. Dabei wäre es ein leichtes, z.B. Drähte so zu montieren, dass sie dort nicht landen können. In Sachen Installationen ist Amerika generell ein Entwicklungsland. Die Dusche baumelt an einer langen Stange von der Decke und man wundert sich, dass aus dieser Konstruktion überhaupt irgendetwas herauskommt. Was herauskommt, ist allerdings braunes Rost-Wasser. Nach ein bis zwei Minuten wird das Wasser dann klar und man kann sich duschen. Die Vermieterin hat mich aber eindringlich gewarnt, ich möge den Duschstrahl so richten, dass ich jederzeit sofort auf die Seite springen kann, falls der Nachbar einen seiner Wasserhähne aufdreht. Denn kommt statt einem angenehm warmer Wasserstrahl von 40 Grad plötzlich Wasser mit kochend heißen 70 Grad aus der Duschkonstruktion.

Das Haus ist in Morningside/West-Harlem, 140te Straße, nicht weit vom Meer entfernt. Hier ist die Durchmischung mit Menschen mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund stärker als in Central-Harlem, wo ich die ersten Wochen gelebt habe. In West-Harlem leben einige Hispanics. Aber es ziehen auch immer mehr Weiße in diese Gegend. Sie ist sicher, ruhig, zentrumsnahe, hat eine gute Infrastruktur und gute Anbindung an das U-Bahnnetz. Es scheint hier eine ähnliche "centrification" vor sich zu gehen wie im Brunnenviertel in Ottakring.

Aber auch in Central Harlem sieht man mehr Weiße, als angeblich noch vor einigen Jahren. Ganz Harlem ist im Laufe der letzten 10 Jahre ziemlich sicher geworden. Das erzählen nicht nur die Leute, die hier schon länger wohnen, sondern das entspricht auch meinem persönlichen Eindruck. Vor allem Menschen mittleren Alters ohne Kinder ziehen hierher. Es gibt viele Grundschulen in der Gegend und man sieht ständig Schulklassen unterwegs auf der Straße. Aber mir ist in vier Wochen erst ein einziges weißes Schulkind aufgefallen. Die Afro-AmerikanerInnen erlebe ich überwiegend als sehr freundlich und man kommt mit ihnen leicht in Kontakt. Bei den Hispanics ist es manchmal etwas anders. Vielleicht liegt es daran, dass sie zum Teil nicht Englisch sprechen können oder wollen. Die meisten Latinos leben in Ost-Harlem, dem sogenannten Spanish-Harlem. Was ich besonders lustig finde, sind die Spanish-Supermarkets, dort läuft den ganzen Tag laute Latino-Musik, Shopping wie auf einer Party.

Dienstag, Februar 10

IngenieursstudentInnen

Als ich zum ersten mal ein altes Final (Abschlussprüfung) für IngenieursstudentInnen gesehen habe, hat mich fast der Schlag getroffen. Die Beispiele sind schwierig und aufwendig. Und diese Prüfung muss ja an die drei oder vier Stunden dauern! Zwölf Aufgaben, teilweise lange Rechnungen, dreidimensionale Kurvenintegrale in Vektorfeldern, Doppelintegrale, Gleichungssysteme usw. Noch erstaunter war ich, als ich heute erfahren habe, dass die Studierenden gerade einmal gut zwei Stunden dafür Zeit haben. Einer meiner Ingenieursstudenten, kein Genie, aber sicher ein braver und fleißiger Student, wiederholt diesen Kurs gerade. Wenn er jetzt zum zweiten mal ein "D" (in etwas "Genügend") bekommt, muss er sein Studium abbrechen. Zur Prüfung ist er letztes Jahr mit einem "B minus" angetreten. Leider war er im Final nicht schnell genug und konnte nur die Hälfte der Beispiel rechnen. Daraufhin ist er auf ein "D" abgesackt. Mich wunder nicht, dass die Studierenden eine Lerndisziplin haben, von der man in Österreich nur träumen kann. Und mich wundert jetzt auch nicht mehr, dass ich hier schon den Ruf als besonders netter und leichter Professor habe.

Ursprünglich bin ich davon ausgegangen bin, dass die Studierenden circa zwei bis maximal drei Kurse belegen. Entsprechen habe ich die Hausübungen dimensioniert. Mittlerweile habe ich aber herausgefunden, dass die Studenten mindestens vier, in der Regel fünf solcher Kurse gleichzeitig belegen. Und trotzdem hat sich heute einer der Studenten bei mir bedankt: "Thank you for not giving us a hard time."

Am MIT gibt es ein Sprichwort: "Sleeping, studying, friends. - From this you can choose two." ("Schlafen, Studieren, Freunde. - Davon kannst du dir zwei Dinge aussuchen.")

Die StudentInnen in meinem Kurs über Wahrscheinlichkeitstheorie sind nicht ganz so harte ArbeiterInnen wie IngenieursstudentInnen, aber durch die Bank fleißig und sehr motiviert. Einer ist mit einem Buch über "Musik und Mathematik" in meine Sprechstunde gekommen, weil er Fragen zu einer gewissen Verteilungsfunktion gehabt hat. Diese Buch liest er aus Spaß in seiner Freizeit. Ein anderer hat vor lauter Freude darüber, dass er schon nach einer Stunde mit der Hausübung fertig war, alle Beispiel aus den ersten drei Kapiteln des Lehrbuchs gerechnet (zusammen ca. 120), und hat dabei doch eines entdeckt, dass er nicht geschafft hat. Ein dritter hält sich für ein jung-Genie (bzw. tun das seine Eltern) und muss sieben Kurse gleichzeitig belegen. Das sind 21 Theoriestunden plus mindestens 30-40 Stunden für Hausübungen, Bücher lesen und Prüfungsvorbereitung, wahrscheinlich viel mehr. Er ist sicher besser als die meisten seiner KollegInnen, aber ich denke, man muss seinem Hirn auch Zeit zum Arbeiten geben, um neues richtig zu verdauen zu können und speziell wenn es um mathematische Kreativität geht. Zumindest was das langsame Tempo betrifft, war ich immer sehr vorbildlich. Für ein billiges Mathematikstudium in Salzburg von ca. 110 Wochenstunden habe ich insgesamt satte 16 Semester gebraucht. Halbwegs begabte und fleißige Studierende schaffen das ohne Aufwand in 9-10 Semester. Das "jung-Genie" hätte so ein Studium in Salzburg bei seinem Tempo inklusive Dimplomarbeit in 6 Semester geschafft.

Montag, Februar 9

Oats

Mein mitgebrachtes Basisflockenmüsli ist schon längst aufgebraucht. Ich bin jetzt auf Oats umgestiegen. Das sind Haferflocken, die man einfach mit halb Milch halb Wasser weichkocht. Vermutlich ist dasselbe, was die Briten "Porridge" nennen. Es gibt solche, die man nur einmal aufkochen muss, und andere, die man 5-10 Minuten köcheln lässt, am einfachsten in der Mikrowelle. Ich habe die Standard Oats, meistens gebe ich etwas Marmelade dazu, wegen des Geschmacks. Man kann sie aber auch mit Dörräpfeln, Trockenbeeren, Zimt oder sonstigen Dingen versehen kaufen, dann oft portionsweise in kleinen Beuteln abgepackt. Auch während meiner Zeit in Australien habe das öfters zum Frühstück gegessen. Die Haferflocken in Österreich schmecken ein bisschen anders, und ich frage mich, ob man aus denen such ein Oats-meal machen kann?

Samstag, Februar 7

Und wieder Sonne!

Den heutigen wunderschönen, sonnigen und frühlingshaft-warmen Shabbat widme ich der jüdischen Community an der Ostküste! Wenn es sie nicht gäbe, dann gäbe es im Supermarkt kein jüdisches Brot. Und wenn es im Supermarkt kein jüdisches Brot gäbe, dann müsste ich ganze vier Monate lang ohne Brot leben. Amerikanisches Brot ungenießbar und gesundheitsschädlich. Nicht nur die ungeheuren Mengen an Backtriebmittel führen dazu, dass man aufgeht wie eine Wuchtel, sondern auch der hohe Zuckergehalt. Nach dem Verzehr einer amerikanischen Brotscheibe empfiehlt es sich die Zähne putzt, sonst fallen sie einem nach kurzer Zeit aus. Ob Bagel oder Scheibe, ob weiß oder Vollkorn, das Brot schmeckt hier einfach süß. Die größte Brotperversion ist aber das "Original German Dark Wheat Bread". Ein Weizenbrot so dunkel wie Pumpernickel. Dass Weizenbrot von Natur aus weiß ist und die dunkle Farbe vom Roggen kommt, ist ein wohlgehütetes Geheimnis. Egal, je mehr dunkle Farbstoffe desto mehr "Original German". Das jüdische Brot schmeckt in etwa wie unser normales Mischbrot, halb Weizen, halb Roggen, etwas Kümmel, und kein Zucker!

Am späteren Vormittag gehe ich ausgiebig im Central Park joggen. Die Temperaturen sind heute deutlich über Null, der Schnee schmilzt wieder. Heute hätte ich im T-Shirt laufen gehen können, bei diesem Sonnenschein. Und ich bin nicht der einzige, der heute die Idee hat im Central Park joggen zu gehen. Auf der Hauptstraße im Park tummeln sich mehr Leute als auf der Prater Hauptallee. Wer lieber alleine unterwegs ist, wählt einen der vielen Waldwege oder eine der kleinen Alleen. Ob hier schon irgendwo ein paar Schneeglöckchen mit ihrem ersten Trieb aus der Erde ragen? Noch nicht, aber sicher bald.

Freitag, Februar 6

Seminar und Chinese New Year

Heute war das erste New York Grouptheory Seminar im Graduate Center, einem schicken Hochhaus in der City. Eine gute Gelegenheit ein paar MathmatikerInnen zu treffen, die ich von diversen Konferenzen her kenne, und vor allem neue Leute kennenzulernen. Was sich hier im Publikum an Kapazitäten der Gruppentheorie ansammelt, ist für eine Seminarreihe wirklich beeindruckend: G. Baumslag, A. Miasnikov, V. Shpilrain, und 40 weitere zum Teil hochrangige ExpertInnen. Solche Ansammlungen an Kompetenz kenne ich sonst nur von internationalen Konferenzen. Der Vortag selbst war inhaltlich und didaktisch so, dass ich nun enspannt und mit Vorfreude meinem eigenen Vortrag in diesem Seminar in drei Wochen entgegenblicke. Details zu erwähnen erspare ich der Vortragenden.

Anschließend mache ich mich auf den Weg zum Alumni-Treffen der asiatischen AbsolventInnen anlässlich der chinesischen Neujahrsfeierlichkeiten. Schon beim Aussteigen aus der U-Bahn, ist mir klar, dass ich mitten in der China Town bin - ich bin der einzige nicht-Asiate. Auch auf der Straße ausschließlich Chinesen. Die vielen kleinen Shops am East-Broadway erinnern mich an Taipei, nur kommen hier wohl die meisten Leute aus Festland-China. Um ein halbe Stunde zu überbrücken, setze ich mich in eine Bäckerei. Fünf junge Damen dicht gedrängt hinter der Theke starren mich gleichzeitig an. Auch das erinnert mich an eine Situation vor ein paar Jahren in Taipei: Erst eine Weile verlegenes Mauscheln und Diskutieren, bis dann doch eine der fünf sich der Herausforderung stellt eine Bestellung in englischer Sprache entgegen zu nehmen. Mit dem Finger irgendwo auf die Karte zu zeigen, hätte nämlich nicht funktionieren, denn die Karte gibt es nur auf chinesisch. "Can I have a coffee?", war doch halb so schwer.

Nachdem mein Name offenbar durch einen Organisationsfehler nicht auf der Gästeliste des Alumni-Treffens war, werde ich nicht zu den anderen MathematikerInnen sondern an den Tisch Nummer 1, den "President-table" gesetzt. Ich bin etwas enttäuscht, weil ich nicht zur Rechten des Präsidenten Platz nehmen darf. Es gibt nämlich gar keinen Präsidenten an meinem Präsidententisch, der ist heute leider zu Hause geblieben.

Die asiatische Soul-Band ist gut, das chinesische Essen ebenfalls, Alkohol gibt es interessanter Weise keinen. Meine SitznachbarInnen sind durchaus interessante Persönlichkeiten: Ein Literatur-Professor, ein Professor für Filmproduktionen und Flim-theorie, und eine sehr gepflegte ältere Dame, die sich als persönliche Freundin von Benita Ferrero-Waldner herausstellt. Die stundenlange Ansprachen, Preisverleihungen und Geschichen aus der aisatischen Community am City College lassen leider wenig Zeit für Privatunterhaltungen. Während die Mehrheit der Anwesenden sich auf einen längeren Abend einstellen, verlässt ein Großteil meines Tisches unmittelbar nach der Nachspeise vorzeitig das Geschehen, so auch ich.

Donnerstag, Februar 5

Feedback

Als ich mich letzten Dienstag entlang von irgendwelchen Kurven durch sinnlose dreidimensionale Vektorfelder integriert habe, sind mir doch glatt zwei Schlampigkeitsfeheler unterlaufen. Das sollte eigentlich nicht passieren. Bei Ingenieuren spielt das tatsächliche Rechenergebnis im Gegensatz zur reiner Mathematik angeblich eine Rolle. Was sich die StudentInnen wohl über mich denken? Ich will mir nicht bei der Evaluierung nachsagen lassen, dass ich eine miese Performance abliefere. Noch dazu gehen mir diese Ingenieursrechnereien ja grundsätzlich auf die Nerven. Ob sie mir meine gespielte Begeisterung abnehmen? Ach was, sollen sie sich nur über mich beschweren, hier gibt es eh keine Stellen, für die ich mich bewerben könnte. Jedenfalls habe ich mir heute vorgenommen noch langsamer an der Tafel zu rechnen, als ich das ohnehin schon normalerweise mache, um die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, dass ich irgendwo wieder eine Rechnung vermurkse. Und wer weiß, wann die unangemeldete Unterrichtsinspektion auftaucht, die sich dann in die letzte Reihe setzt und kritisch Protokoll führt. Damit muss ich jeden Tag rechnen.

Fast nach jeder Vorlesung, ob Wahrtscheinlichkeit oder Analysis, bleiben noch ein paar Studierende und diskutieren und stellen Fragen. So auch heute, etwa fünf Studenten gehen sogar noch mit in mein Büro um Hausübungsbeispiele zu besprechen. Am Ende meint einer der Studenten beim Hinausgehen ungefragt, "Thank you, you know, you are kind of the best professor we ever had at the College." Und überhaupt, flüstert er, die meisten Vortragenden hier seien alle eine Katastrophe. Bumm. Wenn der wüsste, was für eine Freude er mir gerade gemacht hat. Das gibt Motivation.

Die Studierenden hier am City College kommen mehrheitlich aus sozial benachteiligten Schichten. Jene, die es bis in die fortgeschrittene Semester geschafft haben, versuchen sich mit einer Disziplin und einem Einsatz nach oben zu arbeiten, den ich von Österreichischen Universitäten her nicht kenne. Ich denke, es ist eine besonders ehrenvolle und verantwortungsvolle Aufgabe gerade mit diesen jungen Leuten zu arbeiten. In Österreich spielt nur der Forschungsoutput bei Bewerbungen eine Rolle. Lehrleistung wird nicht honoriert.

Normalerweise dürfen Gastprofessoren unterrichten, was sie wollen. Und schon gar nicht werden ihnen fortgeschrittene Vorlesungen umgehängt, die nicht ihrem Spezialfach entsprechen. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir aber, warum dies hier anders ist. Die wenigsten der Hilfslektoren (adjuncts) haben ein PhD. Wer eine halbwegs professionelle und umfassende Ausbildung als Mathematiker hat, muss fortgeschrittene Semester betreuen. Professoren kann man nicht für "Elementary Algebra" oder "Bridge to Higher Mathematics" einsetzen, denn die sind teuer, gerade für ein öffentliches College. (Und sie verdienen auch mehr als in Österreich).

Samstag, Jänner 31

Geburtstag

Heute ist mein Geburtstag! Und das halbe Hostel rückt aus um in einem Nachtclub in der City zu feiern! - Nur war nicht mein Geburtstag der Anlass dafür. Einer meiner neuen Bekannten wird von dem Club dafür bezahlt, dass er Touristengruppen ankarrt. Was für uns dabei herausspringt: Wir bezahlen nur den halben Eintritt und bekommen zur Begrüßung eine 2-Liter-Flasche Wodka mit Säften zum Mischen. Das Lokal selber ist zwar sehr stylisch, aber es fehlt an Atmosphäre. Wir sind wohl nicht die einzige Touristengruppe, die hier angeschleppt wurde. Man bleibt unter sich und redet hauptsächlich mit den eigenen Leuten. Es heißt, die New Yorker gehen kaum noch in solche Clubs, wegen der Wirtschaftskrise. Nachdem wir zusammen die monumentale Wodka-Flasche geleert haben, steigt die Stimmung doch etwas, aber besonders aufregend wird der Abend nicht mehr. Die Lokale in der West-Village, in Harlem oder in Williamsburg sind vielleicht etwas schmuddeliger, aber sie haben mehr Seele.

Freitag, Jänner 30

Museum of Modern Arts (MoMA)

Die meisten Museen haben einmal in der Woche bei freiem Eintritt geöffnet, deswegen gehe ich heute mit ein paar Freunden in das Museum of Modern Arts (MoMA). In der Halle im Ergeschoß findet ein Massen-Yoga-Training für Museumsgäste statt, umgeben von einer in Rosa- und Orange-Tönen gehaltenen Videoinstallation.

Besonders gefallen mir die Exponate in der Design-Abteilung, vor allem die Möbel. Aber auch Exponate wie die erste Spielzeug-Spiralfeder, die von alleine Stiegen hinunter gehen kann, die heißen "Slinky". Vor den Andy Warhol Bildern lassen sich TouristInnen fotographieren. Einer meiner US-Amerikanischen Begleiter macht mich auf die Tropf-Bilder von Jackson Pollock aufmerksam, der wird hier als einer der größten US-Maler der Geschichte gefeiert.

Montag, Jänner 26

Unterrichten in den USA

Es gibt stetige und diskrete MathematikerInnen. Die stetigen messen mit einem Lineal und stehen auf gebogene Linien, sich windende Flächen und physikalische Phänomene wie Magnetfelder und Luftströme. Die diskreten zählen lieber "1, 2, 3" (ganz ohne Lineal), bauen geometrische Objekte nur aus Punkterln und Stricherln und spielen gerne mit Buchstaben herum. Ich bin durchaus diskret und selten stetig.

Ursprünglich hat man mir City College, sehr zu meinem Missfallen, zwei Vorlesungen aus dem Bereich der stetigen Mathematik zugeteilt: Differentialgleichungen und mehrdimensionale Analysis. Ich kann zwar alle undergradute Vorlesungen (entspricht bei uns den Vorlesungen im Bachelor-Studium) halten, aber man hat natürlich seine Vorlieben. Die Vorlesung über Differentialgleichungen (am untersten Rand meiner Prioritätenliste) konnte ich nach vorsichtigen Protesten schließlich durch elementare Wahrscheinlichkeitstheorie ersetzen, eines meiner Lieblingsfächer. Die zweite Vorlesung über mehrdimensionale Analysis für Ingenieure bleibt mir allerdings nicht erspart.

Was mich etwas nervös macht, sind nicht fachliche Belange, sondern, dass mir das US-amerikanische System zu unterrichten vollkommen fremd ist. Vor allem das Organistarische: Syllabus, homwork-assignments, mini-exams (quizzes), text-books, mid-terms, finals, blackboard-internetplattform, Math-Department-internet-plattform... wie läft das alles im Detail nun wirklich ab? An welchen jüdischen Feiertagen darf man mini-exams abhalten und an welchen nicht? Und woher soll ich bitte wissen, welche Religionsgemeinschaft an welchen Tagen höhere Feiertage hat? Wie oft sollte man die Anwesenheit kontrollieren? Welche Konsequenzen gibt es beim wievielten mal zu spät kommen? Und die Frage aller Fragen: Welche Prüfungen dürfen die Studierenden in die blauen und welche in die rosa Prüfungshefte schreiben? Oder sind die blauen für die Manderln und die rosaroten für die Weiberln? Und bei welchen Prüfungen dürfen sie auf weißes Papier schreiben? All dies und noch viel mehr herauszufinden, war die Aufgabe meiner ersten Arbeitswoche. Aber was erwarten die Studierenden nun vom eigentlichen Unterricht?

Freitag, Jänner 23

Sonne

Endlich wird es wärmer, endlich hat es Plusgrade, die Sonne scheint. Kommt nun endlich der Frühling? Im Central Park schmilzt der Schnee. Langsam wird mir klar wir groß diese Anlage wirklich ist. Man sieht die Skyline im Hintergrund und glaubt, bereits das Ende das Parks fast erreicht zu haben, aber dann geht es doch noch ewig weiter. Offenbar habe ich bis jetzt erst ein kleinen Teil des Parks ausgekundschaftet. In der Mitte des Parks liegt ein großer See. Ob man dort im Sommer Boote ausleihen kann?

Auf der 125ten Straße stehen noch immer die Obama-Fanartikelverkäufer am Gehsteig und verkaufen Obama-Buttons, Obama-Sticker, Obama-Tassen, Obama-T-Shirts, Obama-Jacken, Obama-Kappen. Aber langsam kehrt doch der Alltag wieder ein in Harlem.

Donnerstag, Jänner 22

Kaiser Franz Josef

Heute starten Peter und ich eine Lokaltour. Erster Stop ist ein kleines Cafehaus in SoHo, wo angeblich "Sex and the City" gedreht wurde. Eingefleischtere Fans werde vielleicht wissen, wovon ich spreche. Die anscheinend berühmten "Cup-Cakes" sehen sehr nett aus. Das sind Bisquitstücke mit bunter Zuckercreme oben drauf, die Form ähnlich wie Muffins. Danach fahren wir mit der U-Bahn nach Williamsburg in Brooklyn. Ein wirklich nettes, stylisches original 50er-Jahre Lokal ist orange ausgeleuchtet. Es wirkt von außen wie eine silberne Wellblechkiste, ähnlich den U-Bahnen. Eine andere Cocktailbar erinnert mich an ein altes, liebevoll eingerichtetes französisches Landhaus. Und dann gibt es noch den "Biergarten", ein deutsches Lokal, so heißt es. Deutsch? Über dem Eingang ist ein K&K-Doppeladler abgebildet. Er ist schwer als solcher zu erkennen, denn er wurde offenbar vor langer Zeit von Hand gemalt. Das muss ich mir näher ansehen. Im Schankraum alte Holztische und eine lange alte Theke. Und hinter der Theke, ganz in der Mitte, oben unter der Decke ein großes Bild: Kaiser Franz Josef blickt väterlich auf seine Untertanen herab und zu seiner rechten Franz Ferdinand. Es stellt sich heraus, dass kaisertreue Slowaken, die nach New York ausgewandert sind, dieses Lokal gegründet haben. Ein netter Ort. Schade nur, dass das kulinarische Angebot nicht über "bratwurst with french fries" hinausreicht.

Dienstag, Jänner 20

Die Angelobung

Peter und ich beschließen die Angelobung am City College mitzuverfolgen. Decke und Balusrade der riesigen Great Hall im neugothischen Hauptgebäudes sind aufwändig mit Holz vertäfelt, ein imposanter Saal. Auf Kosten des Colleges wurde ein reichhaltiges Buffet aufgebaut. Eingeladen sind nicht nur Professoren sondern auch StudentInnen.

Auf der Videoleinwand läuft die Fernsehübertragung auf Washington D.C. Prominente Persönlichkeiten werden gezeigt, wie sie der Reihe nach den Bereich auf der Terrasse betreten, wo in Kürze die Angelobung stattfinden wird. Die Menschanmassen unten im Park und auf der Straße sind gewaltig. Als der neue Vize-Präsident Joe Biden zum ersten mal zu sehen ist, applaudieren die Menschen in der Great Hall, einzelne Zwischenrufe. Alle warten auf den Superstar. Für einen kurzen Augenblick kommt Michelle Obama ins Bild und sofort springen viele von ihren Stühlen auf, Geschrei, Applaus. Vor allem afroamerikanische Frauen jubeln ihr händeringend zu. Obama selbst wird natürlich mit allgemeinen standing ovations begrüt.

Die Erwartungen an eigentliche Rede nach der Angelobung sind enorm. Alle wollen wieder eine Rede hören, die in die Geschichtsbücher eingeht. Das Wort "historisch" ist allgegenwärtig. Obama hat einige Reden gehalten, die man in der Tat noch sehr oft zititieren wird, ob in New Hampshire, Pennsylvania oder sonst wo. Aber etwas "historisches" kann sich nicht alle zwei Wochen wiederholen. Obama bringt keine kontroversiellen Themen, bricht keine Tabus, über die man sonst nicht sprechen will, bringt auch keine kurzen eingehenden Phrasen, sondern bleibt sachlich, und spricht die zentralen Themenbereiche an. Natürlich verzichtet er als brillianter Redner nicht darauf immmer wieder rethorische Stilmittel einzusetzen.

Als sich die Menschen langsam aus dem Saal bewegen blickt mich eine ältere afroamerikanische Dame an, sie ist offenbar schon den Tränen nahe: "Es war so schön, es war so schön. Wie hat es Ihnen gefallen? War das nicht sooo schön. Dass ich das noch miterleben darf, oh mein Gott..." Dann brabbelt sie noch unvertändliches Zeug vor sich her und geht kopfschüttelnd weiter.

Auf der Titelseite eine Zeitung ist nur ein ganzseites Bild von Obama mit der Schlagzeile "President Barack Obama." Diese drei Worte müssen die Menschen wohl noch öfter lesen und höhren, bevor sie es glauben können. Alles ist zur Zeit "historisch". Es bleibt nur zu hoffen, dass Obama bei all dieser Verehrung, die er als relativ junger Mann erfährt, nicht größenwahnsinnig wird.

In Europa wird die Obama-Mania wohl bald verstummen. Obama ist eine amerikanischer Präsident, der amerikanische Politik machen wird, und keine europäische. Ich erinnere mich an die Entrüstung als Schwarzenegger nach seiner Angelobung als Governeur von Kaliforinien Menschen, die zum Tode verurteilt waren, nicht begnadigte. Auch damals gab es keinen Anlass etwas anderes zu erwarten.

Montag, Jänner 19

Martin Luther King Day

Wer im L-Hostel über das Internet bucht, bekommt ein Begrüßungsemail. Nach einer Reihe von Instruktionen, was zu tun und was zu unterlassen ist, heißt es weiter: "Please joint in our Harlem tradition by Saying Good morning, Good afternoon, to people as you walk down our street." Und es kann einem hier tatsächlich passieren, dass man von fremden Leuten auf der Straße oder im Bus gegrüßt wird. Die Menschen in Harlem sind sehr freundlich und entspannt.

Die Temperatur hat sich um die null Grad eingependelt, dichtes Scheetreiben, große Flocken. Am Nachmittag spaziere ich Richtung Columbia University, die wesentlich näher beim Hostel liegt als das City College. Im Schnee am Gehsteig wartet eine Schlange von Menschen bei einer Lebensmittelausgabestelle für Bedürftige. Durch einen Park führen Stiegen hinauf zum Campus der Columbia University. Eine Allee, deren Bäume mit Lichterketten behängt sind, führt zum Hauptplatz des Campus - eine beeindruckende Anlage mit neoklassizistische Gebäuden. In der Mitte des Platzes ist eine Videoleinwand aufgebaut, LKWs mit großen Lautsprecheranlagen spielen Musik, letzte Vorbereitungen für morgen werden getroffen. Einige Leute bleiben trotz des Schneefalls vor der Leinwand stehen und sehen sich alte Aufnahmen von John F. Kennedys Angelobung an. Man bringt sich schon in Stimmung, wie im Advent, wenn alle auf Weihnachten warten. Morgen ist der große Tag.

Ich nehme die U-Bahn Richtung Downtown. Die Zeitungen der Menschen im Zug sind voll von Obama-Stories, Obama, Obama, Obama, überall Obama, und die morgige Extraausgabe wird auch schon angekündigt. Nicht nur, dass die eigentliche Angelobung zu Mittag an vielen zentralen Orten übertragen wird - was mich besonders wundert ist, dass für die Abendstunden fast jede Bar irgendeine Art von "Inauguration-Party" ankündigt. Auch im Hostel liegen schon seit Tagen Flyer für solche Parties auf. Ich hätte mir in den wildesten Phantasien nicht ausmalen können, welche Ausmaße die Obama-Mania hier annimmt. Und erstaunlicher Weise leidet noch niemand an den Symptomen einer Überdosis.

Martin Luther King Day ist eine Feiertag, aber die Geschäfte haben trotzdem geöffnet. Als Brunnenviertler muss ich natürlich nach SoHo. Was SoHo in New York mit SoHo in Ottakring zu tun haben soll, kann man auf den ersten Blick nicht ganz verstehen. SoHo in New York ist ein Paradies für shoppingsüchtige Designerfreaks mit genug Geld in der Tasche. Vermutlich war es vor vielen Jahren einmal so, wie manche das Brunnenviertel in Zukunft gerne sehen würden. In einem Kellerlokal fällt mir eine grün ausgeleuchtete supergestylte Boutique auf, der Verkäufer mit bunten, eckigen Brillen, seltsamen Wangenbart und schwarzem Anzug. Subsatellit in 30 Jahren? (Anm.: Subsatellit ist ein Kelleratelier in der Gaullachergasse im Brunnenviertel). Bei dem Gedanken läuft es mir kalt über den Rücken, eine absurde Vorstellung. Ganz so wird es wohl nicht kommen, aber niemand weiß, wie die Zukunft des Brunnenviertels aussehen wird. Nichts kann bleiben, wie es ist. Denn was sich nicht verändert, stirbt irgendwann ab.

Auf dem Weg nach Hause beschließe ich spontan bei der Grand Central Station einen Zwischenstop einzulegen. Ein gewaltiger Bau aus edlem Marmor, sehr beeindruckend. Man kann sich gut vorstellen, wie damals die Menschen von hier aus Richtung Westen aufgebrochen sind. "Flying in from London to your door." Was heute John F. Kennedy Airport ist, war wohl früher die Grand Central Station, das Tor zur Welt.

Sonntag, Jänner 18

Architekt und Professor

Im Hostel habe ich Peter kennengelernt. Er ist ein französischer Architekt, ungefähr in meinem Alter, beruflich oft im Ausland unterwegs. Über die Hompage der amerikanischen Architektenvereinigung hat er von einer kostenlosen Führung von "Urban Archivist" Miriam Berman am Madison Square erfahren, wo das berühmte Flatiron Building (der Grundriss sieht aus wie ein Bügeleisen) steht, das erste Hochhaus New Yorks. Miriam ist eine sehr aufgeweckte und gebildete Dame, die seit über 30 Jahren hier im Flatiron district lebt. Sie hat ein Buch über die Geschichte des Platzes geschrieben, quasi eine Wissenschaftlerin mit Spezialfach "Madison Square". Jedes einzelne Gebäude wird besprochen, seine Geschichte, die wirtschaftliche Enwicklung, sie erzählt unterhaltsame Anektoten über die früheren BewohnerInnen und manchmal auch noch Abhandlungen über die Gebäude die hier in grauer Vorzeit einmal gestanden sind. Jeder Gartenzaun, jeder Brunnen, jede Statue birgt eine Geschichte. Vieles unterlegt Miriam mit historischen Fotographien, oft auch aus ihrem Buch. Peter hat ihr mittlerweile die große Tasche abgenommen, damit sie beide Hände frei für ihre Vorführung hat. Wir waren die einzigen Teilnehmer der Führung, quasi eine Privattour, vermutlich sind es im Sommer mehr. Die Temperatur ist mittlerweile zwar auf knapp unter Null gestiegen, aber meine Füße sind nach 2 Stunden und 40 Minuten Vortrag im Freien völlig abgefrohren. Am Ende empfiehlt sie uns noch ein seit den 40er Jahren unverändert gebliebenes Imbisslokal in der 5ten Avenue hinter dem Flatironbuilding, das in erster Linie für seine Sandwiches bekannt ist, bevor sie sich verabschiedet und hinter dem nächsten Block verschwindet. Wir wärmen uns dort mit Matzah ball soup auf, eine jüdische Spezialtät, von der ich schon öfter gehöhrt habe, sie aber noch nie probieren konnte. Ein bemerkenswerter Vormittag.

Am Nachmittag gibt es eine weitere Stärkung in einem Imbisslokal in Chinatown, danach spazieren wir über die Brooklyn Bridge. In der Ferne sehe ich sehr zum ersten mal die Freiheitsstatue. "Jetzt muss du dir etwas wünschen!" Aber wie das mit solchen Wünschen ist, die muss man für sich behalten, sonst gehen sie nicht in Erfüllung.

Nach einem Nickerchen zu Hause im Hostel zieht es uns am Abend wieder in die City, in einen kleinen Jazzclub.

Der Architekt und der Professor, die in einem Hostel in Harlem abgestiegen sind. Dass wir in keinem Hotel wohnen, finden manche Leute wohl eigenartig. Hostels sind eben der bessere Weg um alleine zu reisen, man lernt immer wieder neue und interessante Leute kennen.

Samstag, Jänner 17

Central Park

Am Morgen ist es noch immer zu kalt um die Stadt zu erforschen. Das Hostel hat eine große Küche, die gleichzeitig der Speisesaal ist. Dort ist es allerdings ziemlich kühl. Längere Zeit sitzen kann man nur im Fernsehraum, dem einzig richtig warmen Aufenthaltsraum. Dort gibt es gemütliche Sofas, bunte Polster und Teppiche. Leider läuft die ganze Zeit der Fernseher, im Moment ein Programm über Traumhochzeiten. Unterhaltsamer als das Programm selbst sind die laufenden Kommentare von zwei Schwulen, die z.B. beim Anblick eines rückenfreien Hochzeitskleids in Verzückung fallen. Wie ich später erfahren habe, arbeitet einer von ihnen als Modedesigner.

Im Lauf des Tages lässt der Frost etwas nach, das heißt, wir haben jetzt -7 Grad Celsius. Am späteren Nachmittag gehe ich erstmals laufen in den Central Park "where they say you should not wonder after dark", der ist 18 Blocks von hier entfernt, das ist nicht sehr weit. Eigentlich recht nett das Areal, etwas hügeliger und bewaldeter, als ich mir das vorgestellt habe. Die Wege verlaufen alle in Schlangenlinien. Wenn man sich da nicht an den Hochhäusern in der Ferne orientiert, verliert man leicht die Orientierung (was mir natürlich sofort passiert ist). Aber zum Glück sind die Straßen in New York bekanntlich so nummeriert, dass selbst Leute wie ich, die ohne Orientierungssinn durchs Leben irren, sich jederzeit neu orientieren können. Und auch "after dark" ist es kein Problem durch den Central Park zu joggen. Hier lungern keine zwielichtigen Gestalten herum, jedenfalls nicht bei -7 Grad.

Freitag, Jänner 16

Erster Tag an der Uni

Heute gehe ich zu Fuß zur Uni, das dauert etwa ein halbe Stunde, ich will die Gegend auskundschaften. Fast jedes Geschäft hat hier ein Obama-Poster in der Auslage. Manche haben fast religiöse Züge, z.B. das Poster mit der Dreifaltigkeit: Unten links in klein Martin Luther King, unten rechts in klein John F. Kennedy, darüber strahlend in groß: Barack Obama.

Der Campus ist sehr OK, ein paar neugothische Gebäude, wie es sich im englischsprachigen Raum für eine Uni mit Geschichte gehört, und dazu einige Neubauten. Zuerst bekomme ich einen Security-Pass, und da steht es nun Schwarz auf Weiß: "Professor". Ob auf der amerikanischen Botschaft oder beim Zoll in Wien am Flughafen, ein "Assistent" ist einer der kopieren geht und Kaffee kocht. "Dann sind Sie also Dozent?" - "Nein, auch kein Dozent." - "Ach so, Sie studieren." - "Nein, ich bin Assistent." Der österreichische Zollbeamte gibt verwirrt auf. Den Amerikanischen Behörden erzählt man solche Geschichten besser nicht, sonst gibt es Komplikationen.

Die Leute auf der Uni am City College sind sehr freundlich und zuvorkommend. Am 20. Jänner möge ich unbedingt in die Great Hall kommen. Die Uni lädt ein zu einer Feier mit Buffet und Drinks, anlässlich des historischen Tages, die Angelobung. Von einer Uni erwartet man sich in Österreich, dass sie parteipolitisch neutral ist. Das scheint hier nicht so zu sein. Das City College wird manchmal das "Harward der Farbigen" genannt, eine öffentliche Uni, die damit wirbt, dass sich hier Menschen aus unterprivilegierten Schichten nach oben arbeiten und den amerikanischen Traum verwirklichen können. Wo, wenn nicht hier, wird Obama gefeiert.

Am Campus liegt die aktuelle Ausgabe der Uni-Zeitung "The Paper" auf, "Medium for people of African descent". Die ist zu zwei Drittel voll mit Artikeln über Obama, seine Famile, Berichte von den Jubelszenen in der Wahlnacht auf Harlems Straßen, Obama-Buch-Empfehlungen, alte Geschichten aus der Vergangenheit, z.b. über Leben und Wirken von D.W. Griffith, einer der Gründer des Ku Klux Klans.

Ich freue mich schon auf den 20. Und jetzt, da das Rennen gelaufen ist, kann ich auch zugeben, dass ich im Zuge des Vorwahlkampfes gegen Clinton 20$ an das Team von Obama gespendet habe. Offiziell dürfen keine Gelder aus dem Ausland angenommen werden. Ich habe einfach meine alte Urlaubsadresse aus Colorado angegeben. Irgendwie habe ich schon damals das Gefühl gehabt, dass er es schaffen könnte, auch wenn viele geunkt haben, dass nur Hillary Clinton gegen MacCain gewinnen könne.

Für mich spielt es keine Rolle, welche Hautfarbe Obama hat. Der Punkt ist, dass er einiges im Kopf hat. Ob er es umsetzen wird können, muss sich erst zeigen. Aber ich habe Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit der amerikanischen Gesellschaft. Vor Kurzem haben die Österreicher die Amerikaner noch ausgelacht, weil sie einen Mann wie George W. Bush zum zweiten mal zu ihrem Präsidenten gemacht haben ("gewählt", hat man mir einmal in Colorado erklärt, sei der falsche Ausdruck). Dass knapp die Hälfte der Amerikaner ihm ein zweites mal ihre Stimme gegeben haben, war in der Tat eine sehr erstaunliche Begebenheit. Wir hatten mit Gusenbauer einen promovierten Intelektuellen als Kanzler, die Amerikaner George W. Bush. Da lässt es sich leicht spotten. Jetzt wird Obama als Präsident angelobt, und wir haben Werner Faymann als Bundeskanzler. Hochmut kommt vor dem Fall. Und während in den USA ein Farbiger Präsident wird, erzählt der neue Landeshauptmann von Kärnten einen peinlich rassistischen Witz über eine "Negermama" vor versammelter Presse. Der Begriff "Alpentrottel" wurde von Joseph Roth geprägt. Ich würde mir wünschen, dass manche meiner Landsleute etwas weniger arrogant und abschätzig über Amerika sprechen würden.

In meinem Dienstvertrag steht, dass ich dazu verpflichtet bin "keine Tätigkeit aufzunehmen, die (...) dem Ansehen Österreichs abträglich ist", eine Standardvorgabe aus dem Ministerium. Ich hoffe, nicht gerade eben dagegen verstoßen zu haben. Im Grunde ist es natürlich in Ordnung, das von den "Auslandsentsandten" zu verlangen. Diese peinlichen Details der österreichischen Innenpolitik würde ich auch nicht im Ausland groß ausbreiten, und vor allem nicht auf englisch. Es schimpft sich gegenüber den eigenen Leuten einfach besser.

Donnerstag, Jänner 15

Ankunft

"To that tall skyline I come, flying in from London to your door..." Mit diesem Ohrwurm steigt die Vorfreude auf den Landeanflug. Der Kapitän warnt, dass es zu Turbulenzen kommen wird. Leider habe ich die Seasick-Pills in einem der eingecheckten Koffer. Das stundenlange Babygeschrei auf dem Sitz hinter mir heute Morgen und der 150kg schwere Amerikaner links neben mir haben mir auf dem Flug von Wien nach London wenig ausgemacht. Aber diese Übelkeit geht mir jetzt auf die Nerven. Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und statt eines Blicks auf Skyline und Freiheitsstatue gibt es nur einen Blindflug durch dichte Wolken und ich kämpfe gegen das Erbrechen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir noch nicht gewusst, dass in New York gerade eben ein Passagierjet in den Hudson gestürzt ist - alle Passagiere haben überlebt.

Die U-Bahn ist genau wie in den Filmen. Allerdings fahren diese Blechkisten besser als sie aussehen. Irgendwo in Brooklyn steigt ein betrunkener verwahrloster Afroamerikaner ein und schnorrt die Leute um Geld an. Niemand gibt ihm etwas. Nachdem er mich gefragt hat, wendet er sich an ein farbiges Pärchen neben mir und spricht den Mann an: "Hey, you are my brother, have you got some change..." Was für mich soviel heißt wie: "Hey, du bist mein Bruder, weil du auch eine dunkle Haut hast, im Gegensatz zu dem anderen Typen da. Hast du vielleicht etwas Geld für mich?" Nicht gerade die ideale Begrüßung für jemanden, der die nächsten Monate in Harlem leben wird. Das Pärchen hat ihm am Ende auch nichts gegeben.

Der Regionalzug bleibt nur in der 125. Straße stehen. Das heißt, ich muss umsteigen und mit der lokalen Linie zurück zur 116. Straße. Die unterirdische Station in der 125. Straße wirkt ziemlich finster und heruntergekommen, überall alte, schwarz gestrichene, teils verrostete Stahlträger, am Bahnsteig eine Gruppe von Arbeitern, offenbar Wartungsarbeiten. Ich bin der einzige Weiße weit und breit. Der Mann, den ich nach dem Zug frage, ist schon wesentlich freundlicher als der Bettler im Zug. Links und rechts je einen großen Koffer in der Hand und einen Rucksack am Rücken schleppe ich mich über die Stiegen hinüber zum anderen Bahnsteig. "Hey, strong man!" ruft einer der Arbeiter und winkt mir zu. Ich kann nicht zurückwinken, weil ich keine Hand frei habe.

In der 116. Straße kämpfe ich mich mit dem ganzen Gepäck Stufe für Stufe die Stiegen nach oben, diesmal bis zum Straßenausgang. Jetzt, endlich die letzte Stufe erreicht, zum ersten mal in New York. Wow. Die Backsteinhäuser mit den Feuerstiegen aus Eisen, die gelben Taxis, die vielen Lincholn Town Cars, die so weich gefedert sind, dass sie immer so komisch vor- und zurück-wippen, alles wie im Film. Hello New York! Es ist sehr kalt, weit unter Null, etwas Schnee liegt am Straßenrand. Nachdem ich mit so viel Gepäck unterwegs bin, bleibe ich wenigstens halbwegs warm. Das L-Hostel in der 118. Straße ist leicht zu finden. Im Vergleich zu anderen Hostels ist es wirklich ziemlich OK. Gemischtes internationales Publikum, alles sauber und nett eingerichtet.

Der Tag vor dem Abflug war sehr lange und anstrengend. Positiver Höhepunkt war die letzte Vorlesung über Graphen und Gruppen am Vormittag, wo diesmal StudentInnen am Wort waren und den Beweis des Stallingschen Struktursatzes über Enden von Gruppen mit schönen Vorträgen über Bass-Serre-Theorie abgeschlossen haben. Das war ein erfreulicher Abschied. Mittlerweile sind ca. 40 Stunden vergangen, es ist 10 Uhr Abends (US Zeit). Ich bin völlig am Ende und will nur noch ins Bett. Aber zuerst muss ich etwas Essbares auftreiben. Die Küche in dem Lokal an der Ecke zum Malcolm X Blvd. ist bereits geschlossen. Mittlerweile ist die Temperatur auf -15 Grad gesunken. Der Wind macht diese Kälte brutal, vor allem wenn man weder eine Gesichtsmaske noch lange Unterhosen hat. Im Supermarkt finde ich Bagles, sharp cheddar cheese, Salat, Karotten und Budweiser - endlich Feierabend.