Dienstag, Jänner 20

Die Angelobung

Peter und ich beschließen die Angelobung am City College mitzuverfolgen. Decke und Balusrade der riesigen Great Hall im neugothischen Hauptgebäudes sind aufwändig mit Holz vertäfelt, ein imposanter Saal. Auf Kosten des Colleges wurde ein reichhaltiges Buffet aufgebaut. Eingeladen sind nicht nur Professoren sondern auch StudentInnen.

Auf der Videoleinwand läuft die Fernsehübertragung auf Washington D.C. Prominente Persönlichkeiten werden gezeigt, wie sie der Reihe nach den Bereich auf der Terrasse betreten, wo in Kürze die Angelobung stattfinden wird. Die Menschanmassen unten im Park und auf der Straße sind gewaltig. Als der neue Vize-Präsident Joe Biden zum ersten mal zu sehen ist, applaudieren die Menschen in der Great Hall, einzelne Zwischenrufe. Alle warten auf den Superstar. Für einen kurzen Augenblick kommt Michelle Obama ins Bild und sofort springen viele von ihren Stühlen auf, Geschrei, Applaus. Vor allem afroamerikanische Frauen jubeln ihr händeringend zu. Obama selbst wird natürlich mit allgemeinen standing ovations begrüt.

Die Erwartungen an eigentliche Rede nach der Angelobung sind enorm. Alle wollen wieder eine Rede hören, die in die Geschichtsbücher eingeht. Das Wort "historisch" ist allgegenwärtig. Obama hat einige Reden gehalten, die man in der Tat noch sehr oft zititieren wird, ob in New Hampshire, Pennsylvania oder sonst wo. Aber etwas "historisches" kann sich nicht alle zwei Wochen wiederholen. Obama bringt keine kontroversiellen Themen, bricht keine Tabus, über die man sonst nicht sprechen will, bringt auch keine kurzen eingehenden Phrasen, sondern bleibt sachlich, und spricht die zentralen Themenbereiche an. Natürlich verzichtet er als brillianter Redner nicht darauf immmer wieder rethorische Stilmittel einzusetzen.

Als sich die Menschen langsam aus dem Saal bewegen blickt mich eine ältere afroamerikanische Dame an, sie ist offenbar schon den Tränen nahe: "Es war so schön, es war so schön. Wie hat es Ihnen gefallen? War das nicht sooo schön. Dass ich das noch miterleben darf, oh mein Gott..." Dann brabbelt sie noch unvertändliches Zeug vor sich her und geht kopfschüttelnd weiter.

Auf der Titelseite eine Zeitung ist nur ein ganzseites Bild von Obama mit der Schlagzeile "President Barack Obama." Diese drei Worte müssen die Menschen wohl noch öfter lesen und höhren, bevor sie es glauben können. Alles ist zur Zeit "historisch". Es bleibt nur zu hoffen, dass Obama bei all dieser Verehrung, die er als relativ junger Mann erfährt, nicht größenwahnsinnig wird.

In Europa wird die Obama-Mania wohl bald verstummen. Obama ist eine amerikanischer Präsident, der amerikanische Politik machen wird, und keine europäische. Ich erinnere mich an die Entrüstung als Schwarzenegger nach seiner Angelobung als Governeur von Kaliforinien Menschen, die zum Tode verurteilt waren, nicht begnadigte. Auch damals gab es keinen Anlass etwas anderes zu erwarten.

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