Dienstag, Februar 10

IngenieursstudentInnen

Als ich zum ersten mal ein altes Final (Abschlussprüfung) für IngenieursstudentInnen gesehen habe, hat mich fast der Schlag getroffen. Die Beispiele sind schwierig und aufwendig. Und diese Prüfung muss ja an die drei oder vier Stunden dauern! Zwölf Aufgaben, teilweise lange Rechnungen, dreidimensionale Kurvenintegrale in Vektorfeldern, Doppelintegrale, Gleichungssysteme usw. Noch erstaunter war ich, als ich heute erfahren habe, dass die Studierenden gerade einmal gut zwei Stunden dafür Zeit haben. Einer meiner Ingenieursstudenten, kein Genie, aber sicher ein braver und fleißiger Student, wiederholt diesen Kurs gerade. Wenn er jetzt zum zweiten mal ein "D" (in etwas "Genügend") bekommt, muss er sein Studium abbrechen. Zur Prüfung ist er letztes Jahr mit einem "B minus" angetreten. Leider war er im Final nicht schnell genug und konnte nur die Hälfte der Beispiel rechnen. Daraufhin ist er auf ein "D" abgesackt. Mich wunder nicht, dass die Studierenden eine Lerndisziplin haben, von der man in Österreich nur träumen kann. Und mich wundert jetzt auch nicht mehr, dass ich hier schon den Ruf als besonders netter und leichter Professor habe.

Ursprünglich bin ich davon ausgegangen bin, dass die Studierenden circa zwei bis maximal drei Kurse belegen. Entsprechen habe ich die Hausübungen dimensioniert. Mittlerweile habe ich aber herausgefunden, dass die Studenten mindestens vier, in der Regel fünf solcher Kurse gleichzeitig belegen. Und trotzdem hat sich heute einer der Studenten bei mir bedankt: "Thank you for not giving us a hard time."

Am MIT gibt es ein Sprichwort: "Sleeping, studying, friends. - From this you can choose two." ("Schlafen, Studieren, Freunde. - Davon kannst du dir zwei Dinge aussuchen.")

Die StudentInnen in meinem Kurs über Wahrscheinlichkeitstheorie sind nicht ganz so harte ArbeiterInnen wie IngenieursstudentInnen, aber durch die Bank fleißig und sehr motiviert. Einer ist mit einem Buch über "Musik und Mathematik" in meine Sprechstunde gekommen, weil er Fragen zu einer gewissen Verteilungsfunktion gehabt hat. Diese Buch liest er aus Spaß in seiner Freizeit. Ein anderer hat vor lauter Freude darüber, dass er schon nach einer Stunde mit der Hausübung fertig war, alle Beispiel aus den ersten drei Kapiteln des Lehrbuchs gerechnet (zusammen ca. 120), und hat dabei doch eines entdeckt, dass er nicht geschafft hat. Ein dritter hält sich für ein jung-Genie (bzw. tun das seine Eltern) und muss sieben Kurse gleichzeitig belegen. Das sind 21 Theoriestunden plus mindestens 30-40 Stunden für Hausübungen, Bücher lesen und Prüfungsvorbereitung, wahrscheinlich viel mehr. Er ist sicher besser als die meisten seiner KollegInnen, aber ich denke, man muss seinem Hirn auch Zeit zum Arbeiten geben, um neues richtig zu verdauen zu können und speziell wenn es um mathematische Kreativität geht. Zumindest was das langsame Tempo betrifft, war ich immer sehr vorbildlich. Für ein billiges Mathematikstudium in Salzburg von ca. 110 Wochenstunden habe ich insgesamt satte 16 Semester gebraucht. Halbwegs begabte und fleißige Studierende schaffen das ohne Aufwand in 9-10 Semester. Das "jung-Genie" hätte so ein Studium in Salzburg bei seinem Tempo inklusive Dimplomarbeit in 6 Semester geschafft.

1 Kommentar:

  1. Mathestudent der Uni Wien4. November 2011 um 02:45

    Ich finde Ihren Blog (der leider wohl nicht mehr weitergeführt wird) wahnsinnig interessant, da er einen ungewohnten Einblick in das Leben eines Professor gibt. Etwas hat mich allerdings (positiv - diese Tatsache gibt langsamen aber genauen Studenten trost :) überrascht: Wieso haben Sie 16 Semester für ein Mathematikstudium in Salzburg gebraucht ?

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