Montag, Jänner 19

Martin Luther King Day

Wer im L-Hostel über das Internet bucht, bekommt ein Begrüßungsemail. Nach einer Reihe von Instruktionen, was zu tun und was zu unterlassen ist, heißt es weiter: "Please joint in our Harlem tradition by Saying Good morning, Good afternoon, to people as you walk down our street." Und es kann einem hier tatsächlich passieren, dass man von fremden Leuten auf der Straße oder im Bus gegrüßt wird. Die Menschen in Harlem sind sehr freundlich und entspannt.

Die Temperatur hat sich um die null Grad eingependelt, dichtes Scheetreiben, große Flocken. Am Nachmittag spaziere ich Richtung Columbia University, die wesentlich näher beim Hostel liegt als das City College. Im Schnee am Gehsteig wartet eine Schlange von Menschen bei einer Lebensmittelausgabestelle für Bedürftige. Durch einen Park führen Stiegen hinauf zum Campus der Columbia University. Eine Allee, deren Bäume mit Lichterketten behängt sind, führt zum Hauptplatz des Campus - eine beeindruckende Anlage mit neoklassizistische Gebäuden. In der Mitte des Platzes ist eine Videoleinwand aufgebaut, LKWs mit großen Lautsprecheranlagen spielen Musik, letzte Vorbereitungen für morgen werden getroffen. Einige Leute bleiben trotz des Schneefalls vor der Leinwand stehen und sehen sich alte Aufnahmen von John F. Kennedys Angelobung an. Man bringt sich schon in Stimmung, wie im Advent, wenn alle auf Weihnachten warten. Morgen ist der große Tag.

Ich nehme die U-Bahn Richtung Downtown. Die Zeitungen der Menschen im Zug sind voll von Obama-Stories, Obama, Obama, Obama, überall Obama, und die morgige Extraausgabe wird auch schon angekündigt. Nicht nur, dass die eigentliche Angelobung zu Mittag an vielen zentralen Orten übertragen wird - was mich besonders wundert ist, dass für die Abendstunden fast jede Bar irgendeine Art von "Inauguration-Party" ankündigt. Auch im Hostel liegen schon seit Tagen Flyer für solche Parties auf. Ich hätte mir in den wildesten Phantasien nicht ausmalen können, welche Ausmaße die Obama-Mania hier annimmt. Und erstaunlicher Weise leidet noch niemand an den Symptomen einer Überdosis.

Martin Luther King Day ist eine Feiertag, aber die Geschäfte haben trotzdem geöffnet. Als Brunnenviertler muss ich natürlich nach SoHo. Was SoHo in New York mit SoHo in Ottakring zu tun haben soll, kann man auf den ersten Blick nicht ganz verstehen. SoHo in New York ist ein Paradies für shoppingsüchtige Designerfreaks mit genug Geld in der Tasche. Vermutlich war es vor vielen Jahren einmal so, wie manche das Brunnenviertel in Zukunft gerne sehen würden. In einem Kellerlokal fällt mir eine grün ausgeleuchtete supergestylte Boutique auf, der Verkäufer mit bunten, eckigen Brillen, seltsamen Wangenbart und schwarzem Anzug. Subsatellit in 30 Jahren? (Anm.: Subsatellit ist ein Kelleratelier in der Gaullachergasse im Brunnenviertel). Bei dem Gedanken läuft es mir kalt über den Rücken, eine absurde Vorstellung. Ganz so wird es wohl nicht kommen, aber niemand weiß, wie die Zukunft des Brunnenviertels aussehen wird. Nichts kann bleiben, wie es ist. Denn was sich nicht verändert, stirbt irgendwann ab.

Auf dem Weg nach Hause beschließe ich spontan bei der Grand Central Station einen Zwischenstop einzulegen. Ein gewaltiger Bau aus edlem Marmor, sehr beeindruckend. Man kann sich gut vorstellen, wie damals die Menschen von hier aus Richtung Westen aufgebrochen sind. "Flying in from London to your door." Was heute John F. Kennedy Airport ist, war wohl früher die Grand Central Station, das Tor zur Welt.

1 Kommentar:

  1. in 30 jahren sind wir so zwischen 50 und 60... wenn wir da supergestylt und noch immer fleißig produzieren und kreativ arbeiten, und auch noch geld damit verdienen, dann hat sich mein traum erfüllt...
    teresia
    subsatellit

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